Gedanken und Gefühle - anhören

von Nicole Paskow

 

Wir werden nie herausfinden, was Gedanken und Gefühle sind. Genausowenig wie wir herausfinden werden, warum es uns Menschen und alles andere gibt und was das eigentlich ist. Doch wir können in uns selbst beobachten, was Gedanken und Gefühle bewirken und wie sie unser inneres Klima verändern. Was wir herausfinden können, ist, dass der Geist Gedanken produziert. Wie passiert das?

Es ist ein Vorgang, für den es eine innere Ausrichtung, Aufmerksamkeit und eine Vorerfahrung braucht. Ich konnte beobachten, dass meine Kinder erst dann angefangen haben Gedanken zu äußern, als ihr Geist in der Lage war Dinge voneinander zu unterscheiden und zu benennen. Mama Ball werfen. Oder sie zeigen auf den Ball und sagen den Namen.

Es wurde ihnen dann möglich, als sie so oft Bilder und Vorgänge gesehen haben, dass sich eine Bedeutung eingeprägt hat. Denken entsteht durch vergleichen, schlussfolgern und definieren. Es ist vergleichbar mit dem Rechenvorgang eines Computers. Informationen werden interpretiert, verwertet und verarbeitet.

Aufmerksamkeit ist die größte Kraft

Und damit ist nichts verkehrt. Es ist ein natürlicher Vorgang, der uns hilft, uns zu orientieren und zu handeln. Die Aufmerksamkeit ist die größte Kraft im Menschen, wo sie sich hinrichtet, dort erfahren wir etwas. Wo sie sich hinrichtet, hängt davon ab, welche innere Ausrichtung wir haben, was uns also interessiert. Interesse kann vielschichtig und ebenso bewusst, wie unbewusst sein.

Es kann uns bewusst sein, dass wir gerne Meerestiere beobachten, deshalb gehen wir vielleicht in ein Meerestieraquarium und finden alles über sie heraus.

Es kann uns auch bewusst sein, dass wir uns für Heavy Metal interessieren, deshalb zweimal im Jahr zu Konzerten fahren und uns zweimal im Jahr so richtig lebendig fühlen. Es kann uns unbewusst sein, dass wir tiefe Gefühle so sehr verdrängen, dass wir uns innerlich ganz taub und leer fühlen und die Intensität von Heavy Metal brauchen, um uns überhaupt mal direkt zu spüren.

Das unbewusste Interesse liegt im Verdrängen von Gefühlen. Warum? Es ist eine kindliche Strategie, um zum Beispiel, in einer Umgebung, in der Gefühlen keinen Raum gegeben wird, ohne offene Konflikte zu provozieren, klarzukommen.

Die innere Ausrichtung bestimmt

Die innere Ausrichtung bestimmt über die Art der Gedanken, die sich im Bewusstsein zeigen. Die Gedanken, die uns zu Bewusstsein kommen sind jene mit der höchsten Priorität. Der arbeitende Verstand, der ganz stressfrei funktioniert, in dem er uns planen, zum Bus finden, ein Projekt konzipieren oder kochen lässt, ist kein Problem. Die Probleme entstehen durch Gedanken, die uns selbst bewerten und definieren.

Wenn wir als Kind gelernt haben uns anzupassen, indem wir versucht haben möglichst alles richtig zu machen, hilfreich und nützlich zu sein, dann wird ein großes Interesse daran bestehen dem inneren Ermahner, der alles bewertet und kommentiert, was wir denken, fühlen und tun, Folge zu leisten, denn er hält uns in der Spur, die kindliche Strategie aufrecht zu erhalten.

Dieses Interesse wird sich erst dann ändern, wenn wir anfangen zu fühlen, was das mit uns macht.
Der Druck, den wir bekommen, wenn der innere Kritiker uns antreibt und zur Perfektion zwingt, der Stress, den es macht uns anzupassen und die Anderen immer im Fokus der Aufmerksamkeit zu haben, damit wir nicht verurteilt werden, müssen gefühlt werden. Dann kommt es zu einem echten Verständnis und klar gesehenen Beobachtungen.

Sehen bringt Veränderung

Es ist das Sehen dessen, was geschieht, das die Verlagerung des Interesses bewirkt. Wenn wir fühlen, wie selbstverletzend die ständige Selbstkritik ist, wie ungesund diese Form der Motivation ist, wie sehr sie uns in den Burnout treibt und wie wenig sie uns innerlich entspannen und zur Ruhe kommen lässt – wenn es wirklich gefühlt wird – dann wird klar, dass es nicht mehr um die Erfüllung der Anweisungen des Antreibers gehen kann, sondern um einen selbst.

Deshalb sind Gedanken und Gefühle unser inneres Navigationsgerät. Wenn sie ungehindert ins Bewusstsein dringen können, braucht es keine extra Instanz, wie das Ego, das sich gegen bestimmte Gedanken und Gefühle wehrt und seine eigenen Ideen von richtig und falsch verfolgt.

Klare Gedanken und klare Gefühle sind solche, die ohne Schranken im Bewusstsein empfangen werden. „Warum denke ich schon wieder darüber nach?“, „Warum fühle ich schon wie der so?“
„Wann hört das endlich auf?“ … sind Beispiele für solche Schranken. Es sind Widerstände, die eine Wahrnehmung, die schon da ist, verändern wollen. Das verhindert aber, dass der Fluss fließen kann.

Der Fluss fließt, wenn ich klar und deutlich sehe, worüber ich nachdenke und was ich fühle. Denn Denken und Fühlen geschehen im Sehen. Das ist eine große Entdeckung! Ich bin das, was sieht. Ich bin nicht Denken und nicht Fühlen. Diese Entdeckung stellt sich zuverlässig ein, wenn keine Selbstverurteilung stattfindet.

Wirklichkeit durch Fühlen

Dann ist das klare Sehen nicht behindert. Die Selbstverurteilung muss aber auch erst gesehen werden, damit sie aufhört. Das geht nur durch das Fühlen. Hab keine Schranke im Fühlen dessen, was die Gedanken mit Dir machen. Nur so kann der Stein im Schuh ins Bewusstsein dringen und Dir auffallen: Wenn er weh tut.

Und nur dann wird Dir die Auswirkung des inneren Antreibers auffallen, wenn Du bemerkst, wie weh es tut sich klein zu halten und bis zur Erschöpfung anzutreiben. (Es gibt viele Arten sich zu unterdrücken, ich habe hier dieses Antreiberbeispiel nur als Beispiel gewählt.) Wenn Du wirklich bemerkst, dass es Dich von Deiner Freude abhält, von Deiner Leichtigkeit, von Deinem Selbstempfang, weil Du Dich ausgebrannt und wie tot fühlst.

Manchmal ist es der Körper, der erst Alarm schlagen muss, bis sich die Aufmerksamkeit endlich auf Dich richtet. Allein dafür könnten wir Gott die Füße küssen, dass er uns so ein wunderbares Instrument geschenkt hat, das nicht lügen kann und immer ausdrückt, was gerade schiefläuft, um uns wieder zurückzuholen zu uns.

Der Geist rennt davon

Und wen muss er da zurückholen und wieder in die Verbindung bringen? Den Geist. Denn der gallopiert in einer Affengeschwindigkeit davon, wenn wir uns weigern zu fühlen, was seine Gedanken mit uns machen. Jede Form der Gewalt, ob psychische oder physische ist nur dort möglich, wo der Geist allein regiert, und das Gefühl unterdrückt ist. Der Geist fühlt nichts. Deshalb kann er die schlimmsten Dinge mit uns und anderen tun. Wir brauchen das Gefühl, um bewusst EINS zu sein.

Und Gott (ich verkürze es mal darauf) hat uns eine ganze wunderbare Pallette an Gefühlen geschenkt, die alle unserer Navigation dienen. Nur weil wir sie haben, können wir erkennen, wohin wir steuern.
Sehen, denken und fühlen. Das sind die Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, um dieses Leben vollkommen auszukosten.

Im Sehen zeigt sich die Qualität des Denkens und Fühlens und somit Deine Ausrichtung in Deinem Leben. Ist das Sehen unterentwickelt und das Denken um vieles stärker als das Fühlen, wird Dich das beispielsweise in Gedanken umherirren lassen, um dort nach Lösungen zu suchen, warum Dein Leben sich so unverbunden, kalt und leer anfühlt.

Gleichgewicht und Ausgleich

Ist das Sehen unterentwickelt und das Fühlen stärker als das Denken, findest Du Dich hin und hergeworfen in Deinen großen Emotionen, von denen jede die Wahrheit beansprucht. Dann ist alles für immer gut, wenn es Dir gut geht und alles für immer schlecht, wenn es Dir schlecht geht. Und Dir fällt nicht auf, wie schnell das wechselt. Es ist einfach keiner da, der Zusammenhänge erkennt und den Mechanismus sieht.

Klares Sehen hält Denken und Fühlen in Balance, indem es beides widerstandslos erkennt und nicht mit ihnen verschmilzt. Sehen heißt ganz direkt wahrnehmen, ohne Abwehrmechanismen.

Die Kindheitsstrategien, die reine Abwehrmechanismen sind, sind in der Kindheit offenbar legitim und nötig. Aber sie haben den Nachteil, dass sie uns beibringen, Widerstände gegen Gedanken und Gefühle zu entwickeln. So lernen wir, dass es unerwünschte Gefühle gibt. Wir lernen es so total, dass wir später überhaupt nicht mitkriegen, wie sehr es unsere natürliche Entfaltung verhindert.

Der Keil zwischen uns

Wir misstrauen Gedanken und Gefühlen, die in uns selbst auftauchen und treiben damit den Keil zwischen uns selbst. Wir spalten uns in den Erlebenden und den Kommentator. Fehlt der Widerstand gegen das in uns Wahrgenommene, fehlt auch jedes Problem. So einfach ist das. Aber für die meisten kaum zu glauben…

Gefühle sind etwas Wunderbares, genauso wie Gedanken. Gefühle sind etwas vollkommen anderes als Gedanken, eine ganz eigene Dimension. Sie folgen oft auf einen Gedanken, um ihm Wirklichkeit zu verleihen. „Oh je, im Vergleich zu XY stehe ich aber dumm da“, auf diesen Gedanken folgt zuverlässig ein mieses Gefühl. Unser unbewusstes Interesse uns schlecht zu bewerten, (um nicht gesehen zu werden und Verurteilungen zu vermeiden) schnappt sich diesen Gedanken, denn dieser Gedanke führt zu dem angestrebten Gefühl.

Machen wir das jahrelang, sind wir diese unheilvolle Kombination so gewöhnt, dass sie uns nicht mehr auffällt. Dann ist es so, dann bin ich immer schlechter als andere und schaffe es nie mich zu entspannen. Und ich versuche an mir selbst etwas zu ändern, damit dieses miese Gefühl aufhört und sich ein schönes Gefühl einstellt, wenn ich „Endlich hab ich was geschafft“, denken kann, nachdem ich mich sehr angestrengt habe. Leider verschwindet das wieder und wir glauben wieder den schlechten Gedanken über uns und der Kreislauf beginnt von vorn.

Zwei Möglichkeiten

Ich habe zwei Möglichkeiten herausgefunden, wie dieser Mechanismus ins Bewusstsein dringen kann. Entweder der Schmerz durch die Selbstentwertung wird so intensiv, dass er gefühlt werden muss, oder der Mechanismus läuft so oft ab, dass irgendwann die ewige Wiederholung desselben ins Auge fällt. Der Verdruss darüber fällt dann auf. Es kann gesehen werden, wie es zustande kommt. Sobald es vollständig gesehen wird, fällt es ab. Dann ist die Identifikation damit dauerhaft unterbrochen.

Das Einzige, was wir zutiefst einzusehen haben, ist, dass wir alle Gefühle brauchen, um zu erfahren, was wir denken. Und wir brauchen das Denken, um zu erkennen, was wir fühlen. Dann können wir auch sehen, dass es Gedanken sind, die zu Gefühlen führen und nicht etwa Ereignisse oder das Verhalten von Menschen. Und dann können wir auch sehen, wie Gedanken verblassen und sogar verschwinden, wenn sie keine Aufmerksamkeit mehr bekommen.

Das Interesse ist erloschen, weil klar ist, dass ich mich nicht selbst verletzen will, wenn ich doch absolut bewusst sehe, was mit mir passiert, wenn ich den selbstentwertenden Gedanken folge. Ich mach da nicht mehr mit. Und entdecke ein echtes Wunder: Wenn der Gedanke kein Interesse bekommt und damit keine Aufmerksamkeit, taucht er nicht mehr auf und ist auch nicht mehr wahr, weil auch kein bestätigendes Gefühl mehr auftaucht. Ich entdecke, dass allein Gedanken und Gefühle meine Realität bestimmen. Und nicht etwa Umstände und Situationen.

Das kann so ziemlich alles verändern. Das bewusste Sehen ist die wahre Selbstermächtigung. Ein anderes Wort dafür ist Präsenz: Unser bewusstes Anwesendsein. In ihm erscheint alles, ohne Widerstand dagegen wie es ist. In ihm erscheint auch der Widerstand, nur spielt er einfach keine Rolle mehr. Was für eine Erleichterung!

Wenn Du wirklich eingesehen hast, dass es besser ist, den Müll raus zu bringen, bevor er stinkt, dann wirst Du ihn auch nicht mehr stehen lassen, bis er stinkt.

Also sieh der Angst in die Augen und denke und fühle, was Du denkst und fühlst! Und Du wirst schon sehen …

 

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