Aufmerksamkeit - die verkaufte Kraft - anhören

von Nicole Paskow

Wir suchen nach Kraft, Einfluss und Kontrolle, nach Möglichkeiten, etwas zu bewirken. Aber kaum jemand erkennt, dass diese Kraft längst da ist – in jedem Moment, als das, was allem zugrunde liegt: Aufmerksamkeit.

Aufmerksamkeit ist das Erste, was geschieht, wenn etwas in unser Erleben tritt. Sie ist das, was einen Gedanken zum Leben erweckt, eine Erinnerung wachruft oder ein Gefühl spürbar macht. Was wir nicht beachten, existiert in unserem Erleben nicht und das, was wir beachten, das wächst und wird zu unserer Realität.
Das, was wir nicht beachten kann da sein, aber ohne unsere Aufmerksamkeit ist es wie ein Bild in einem dunklen Raum – unsichtbar und unwirksam.

Diese schlichte Wahrheit wird kaum wahrgenommen, weil sie einfach zu selbstverständlich ist.  Wir sind so sehr mit dem beschäftigt, was wir sehen, hören, denken, fühlen – dass wir vergessen, dass wir sehen, hören, denken und fühlen.
Die Aufmerksamkeit selbst – das Licht, in dem alles auftaucht, gerät aus dem Blick. Und genau darin liegt das Paradoxe: Unsere größte Kraft ist die, die wir am wenigsten bewusst nutzen.

Die Energieversorgung durch Aufmerksamkeit

Denn alles, was wir erleben, wird durch Aufmerksamkeit mit Energie versorgt. Ob eine Geschichte in Deinem Kopf weiterläuft, ob ein Gefühl sich ausweitet oder verklingt, ob Du Dich sicher fühlst oder unruhig, hängt wesentlich davon ab, worauf Deine Aufmerksamkeit gerade ruht.

Sie ist wie eine Taschenlampe in einem dunklen Raum. Wohin Du sie richtest, das wird sichtbar, das wird „Dein Erleben“. Aber wer die Lampe nicht selbst in der Hand hält, lebt in einem Strom von Bildern, der ihn mitzieht.

Wir erleben dann nicht die Welt, sondern den unbewussten Verlauf unserer inneren Bewegungen , die dadurch fremdbestimmt und zerstreut sind.

Das Konkurrieren um Deine Aufmerksamkeit

Genau das aber, ist im Verlauf der letzten Jahre durch die rasante Entwicklung der Technologie und Social Media, der Normalzustand geworden und zwar nicht nur individuell, sondern kollektiv. Wir leben in einer Gesellschaft, die permanent um unsere Aufmerksamkeit konkurriert. Das Perfide daran ist, das subtile Versprechen, dass wir davon profitieren würden, doch in Wahrheit braucht sie unsere Energie, um sich aufrecht zu erhalten. Denn Aufmerksamkeit ist Energie – reine, unmittelbare Lebenskraft. Was sie berührt, wächst. Was sie meidet, verdorrt.

Sie wissen mehr über Dich, als Du selbst

Plattformen wie Instagram, TikTok, YouTube sind nicht „böse“, aber sie sind gebaut, um unsere Aufmerksamkeit möglichst lange zu binden. Sie sind nicht dafür gemacht, dass Du irgendwann satt bist. Sie sind dafür gemacht, dass Du dranbleibst, weiterklickst und Dich verlierst. Ich hab selbst oft genug erlebt, wie schnell die Zeit vergeht, wenn ich mich darin verliere, ohne zu merken, dass ich einfach nur konsumiere, ohne echten, bleibenden Gewinn daraus zu ziehen.

Die Algorithmen, die dort im Hintergrund arbeiten, wissen mehr über unsere Verhaltensmuster als wir selbst. Sie erkennen, was uns triggert, worauf wir reagieren, was uns hält und sie lenken unsere Aufmerksamkeit so geschickt, dass wir glauben, selbst zu wählen. Dabei ist unsere Wachheit längst unterwandert.

Was dabei geschieht, ist nicht bloß ein Zeitverlust, es ist ein Kraftverlust.
Ein Verlust von Selbstkontakt. Denn wer nicht weiß, worauf seine Aufmerksamkeit ruht, verliert sich im Inhalt – statt sich als das Gewahrsein zu erkennen, in dem all das geschieht.

Der Preis ist zu hoch

Man könnte sagen: Wir haben unsere Aufmerksamkeit verkauft und zwar für simple Zerstreuung und noch nicht mal für Geld. Eher für das Gefühl unterhalten zu werden, für den Moment, in dem wir nicht spüren müssen, was gerade da ist. Aufmerksamkeit ist nämlich auch unbequem. Wenn sie wirklich klar wird, zeigt sie uns, was wir nicht sehen wollen.

Sie bringt Gefühle an die Oberfläche, Gedanken, alte Muster. Und deshalb ist es verständlich, dass wir sie lieber ablenken, wegführen, dämpfen. Aber das hat seinen Preis. Denn mit der Flucht vor dem Unangenehmen verlieren wir auch den Zugang zum Wesentlichen, zur Tiefe, die echte Freude bringt und zur inneren Stille.

Dabei ist Aufmerksamkeit nichts, was wir machen müssen.
Sie ist schon da. Die Frage ist nur: Richtet sie sich selbst – oder wird
sie gelenkt?

Das Bemerken ist der Wendepunkt

Und genau hier liegt der Unterschied: Wir können Aufmerksamkeit nicht „kontrollieren“, im Sinne eines festen Willensakts. Aber wir können merken, wo sie gerade ist. Wir können bemerken, dass wir wieder verloren sind im Scrollen.Dass wir schon zehn Minuten innerlich diskutieren. Dass wir einer Erinnerung nachhängen oder uns mit einem Gedanken identifizieren.

Dieses Bemerken ist der eigentliche Wendepunkt. Denn in dem Moment, in dem wir merken, dass die Aufmerksamkeit gerade gebunden ist, entsteht ein neuer Raum, der nicht dadurch zustande kommt, weil wir etwas verändern müssen, sondern weil wir wieder bewusst da sind.
Dieses „Mitbekommen“ ist wie ein subtiles inneres Zurücktreten.

Es ist der Moment, in dem nicht der Inhalt unseres Erlebens dominiert, sondern das Erleben selbst bewusst wird. Und das verändert alles. Das alles geschieht nicht sofort oder über Nacht, aber es geschieht mit stiller Konsequenz.

Die Liebe zur Freiheit ist der Schlüssel

Es braucht die Liebe zur Freiheit, die uns innerlich ausrichtet und sich immer wieder daran erinnert: Ich bin nicht das, worauf ich schaue. Ich bin das, was schaut.

Und aus dieser Perspektive wird klar, dass es nicht darum geht, besser, disziplinierter oder effizienter mit der Aufmerksamkeit umzugehen. Es geht vielmehr darum, sie wieder als das zu erkennen, was sie ist: Ein Ausdruck des Bewusstseins selbst.

Aufmerksamkeit ist eine schöpferische Bewegung, eine stille Entscheidung in jedem Moment. Wenn wir dieser Bewegung Raum geben – wenn wir ihr wieder folgen, weil wir spüren, dass sie frei macht – dann verändert sich unser Leben nicht nur in der Tiefe.
Es wird wahrhaftig und unmittelbar und auf eine fast paradoxe Weise ganz einfach.

Denn plötzlich merken wir, dass es gar nicht so viel braucht. Es braucht kein großes Konzept, kein Retreat, Seminar und auch keine Methode.
Sondern nur diesen einen Schritt: Zu sehen, wo die Aufmerksamkeit gerade liegt. Und zu wissen: Das bin nicht ich. Ich bin das, was es bemerkt.

Und in dieser Klarheit beginnt der Rückweg oder besser gesagt: Das Ankommen. Denn erst wenn wir wissen, wer wir sind, können wir auch zu uns zurückfinden.

 

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In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.

Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.