Es wird nie passieren - anhören

von Nicole Paskow

 

Was mich immer auf eine mehr oder weniger bemerkte Weise begleitet hat, ist das Gefühl, dass noch irgendetwas kommen wird. Irgendetwas Besonderes würde noch in meinem Leben passieren – etwas wie eine Antwort, wie eine Resonanz auf mein wahres „Ich“. Als ich mir dieses ganz subtile, unterirdische Empfinden näher anschaute, stellte sich heraus, dass es etwas mit Freude zu tun hatte. Mit Hoffnung. Mit erhöhter Energie. Mit einer leisen Vorstellung davon, dass es mir – wenn dieses Besondere für mich eingetroffen wäre – tatsächlich richtig gut gehen würde. Und mit dieser Aussicht ließ sich das Niederschwingende, das weniger Erhöhte, irgendwie besser aushalten. Weil da ja noch etwas kommen würde. Etwas, das nur für mich da ist. Und dann …

Mir wurde fast schlecht, als ich das zutiefst erkannte. Denn schlagartig wurde mir klar, dass genau dieses stille Warten mich davon abhielt, wirklich anzukommen. „Da“ zu sein. Nicht mehr in diesem subtilen Zustand des Werdens zu verharren. Da war immer eine Art Vorfreude auf etwas Ungewisses, Verschwommenes, nicht Konkretes. Ein Ahnen von etwas Großem, Schönem, Bedeutsamen. Und es ist wirklich verrückt, dass gerade so ein schönes, positives Empfinden – dieses leise Sehnen – eine solch kraftvolle Blockade sein kann. Denn genau das sah ich – bei näherem Hinsehen. Und ich landete. Genau hier.

Die Rückkehr ins Unscheinbare

Plötzlich war jede Zukunft weg. Es gab nur noch das Hiersein. Diesen Augenblick. Genau der Ort, an dem ich war. Genau diese Umgebung. Diese unordentliche Küche, die darauf wartete, aufgeräumt zu werden. Der Hund, der Gassi gehen wollte. Die Kinder, die auch irgendetwas von mir wollten. Und meine geplatzte Seifenblase von „eines Tages …“ Ich spürte einen existenziellen Frust. Einen von der Sorte, die man lieber nicht spüren will. Aber ich spürte ihn. Und ich spürte auch, dass es keinen Ausweg mehr gab. Ich hatte es zu deutlich gesehen – dieses Weggehen, Wegträumen. Ich kannte es schon aus meiner Kindheit, wenn ich stundenlang allein in meinem Zimmer saß und ganz in meiner erträumten Welt aufgegangen war, in der alles schön war. In der „echten“ Welt war ich viel allein. Ohne Resonanz auf mein Wesen.

Und das hatte nie aufgehört. Dieses Sehnen. Diese Ahnung. Dieses stille Warten darauf, dass eines Tages etwas Besonderes passieren würde – es war immer da gewesen. Ich hatte es nur nie so deutlich gesehen wie in diesem Moment. Es war ein Moment der Ernüchterung, fast ein Überdruss gegenüber dieser Sehnsucht. Wie ein Film, den ich mir zum 25 000sten Mal anschaute und plötzlich merkte: Ich kenne jede Szene. Es berührt mich nicht mehr. Und da – da blitzte sie durch. Die echte Welt, jenseits der Vorstellung. Ich fand mich an einem sehr alltäglichen Ort wieder, den ich all die Jahre nur deshalb ausgehalten hatte, weil ich diesen Fixstern in mir trug. Und der fiel nun weg. Es war eine harte Landung. Aber eine gute.

Erkennen, was trägt

Ich war dankbar dafür, als mir klar wurde, dass ich meine Tiefe nur dann erkennen konnte, wenn ich aufhören würde, in eine Vorstellung zu flüchten, die einem Drogenrausch gleicht – einem Rausch, der mir ein gutes Gefühl verschaffen sollte. Es war nur eine Idee, eine fixe Vorstellung von etwas, das nie eintreten würde. Nicht, weil es nichts Besonderes für mich geben könnte, sondern weil die Idee des Besonderen eine Vermeidung des Gewöhnlichen ist. Und wenn ich eins wusste, dann, dass Vermeidung eine extreme Bremse ist. Als würde man etwas Wichtiges wissen, es aber nicht wirklich sehen wollen und deshalb immer wieder wegschauen, weil man noch ein bisschen in der wohlig warmen, schönen Blase bleiben will. Und ja, es ist so. Solange man das so will und so macht, ist das auch so.

Aber alles hat sich irgendwann auserzählt und auserlebt. Dann fällt es von selber ab. Ich hab nichts getan, um diese wichtige Erkenntnis zu haben. Außer vielleicht: Ich habe mich einfach oft genug „träumen“ lassen, um irgendwann, als es genug war, zu merken, dass das völlig leer ist – als würde ich mich in einer virtuellen Welt aufhalten, in der nichts echt ist, aber angenehm, wohltemperiert und ungefährlich. Ich müsste mich nie wirklich auf etwas einlassen, ich könnte immer weiterträumen von dem Schönen, das mich erwartete – irgendwann, eines Tages.

Ich konnte das verkraften, weil ich Wahrheit liebe. Sie ist das Einzige, was mich in diesem Leben wirklich antreibt. Ich will es wissen. Das ist alles, was ich weiß. Und dieser Wille, dieser Antrieb lässt mich immer tiefer schauen, lässt mich entlarven, wo ich mich vor mir selbst verstecke, weil ich noch nicht genug vertraue.

Denn genau diese Erkenntnisse lassen mich tiefer gehen und tiefer fallen und sehen, dass alles schon gut ist. Ich muss nirgendwo anders hin, als genau hier zu sein. Nur hier kann ich Gedanken begegnen, die mir erzählen, dass es noch nicht reicht, dass etwas fehlt, dass ich noch nicht da bin, wo ich sein wollte. Und genau hier kann ich merken: „Was für ein Unsinn!“ Es sind nur Gedanken, irgendwelche Informationspartikel, die durch meinen Raum laufen und die Realität färben wollen, indem sie Szenarien entwerfen, die mich von einer besseren Welt träumen lassen. Sie funktionieren genau so, wie die Werbung, die einem einredet, dass einem etwas fehlt, und deshalb bräuchte man dieses und jenes, um es zu bekommen.

In der Schönheit des Jetzt

Aber nun konnte ich es durchschauen und nicht mehr auf diese perfide Verführung reinfallen. Denn nun spürte ich, dass ich ja immer da bin, wo ich bin. Ich muss mich nicht wegträumen, weil ich ja schon hier bin. Alles, worauf ich reagierte, sind Gedanken, die Gefühle auslösten, die sich wie Mangel anfühlten, Sehnsucht provozierten und den Projektor in Richtung „Traumleben“ ausrichteten. Aber nur hier kann ich spüren, dass ich schon da bin und mich in keiner Weise bewegen muss – weder gedanklich noch emotional. Das, was darunter liegt, ist schon perfekt. Vollkommen. Es ist einfach, schlicht und schön. Und gerade in dieser Schlichtheit, in dieser Unscheinbarkeit unendlich besonders. Hier sehe ich echte Schönheit, die nicht laut ist, die nicht auf sich aufmerksam machen muss, weil sie sich selbst genügt.

Hier fühle ich echten Frieden, der sich nicht stören lässt von unsinnigen Gedanken, Meinungen, Weltbildern, die undurchschaut und abwehrend sind. Nur hier, bei mir, in mir, als ich, muss ich nichts beweisen, nichts erklären, nichts tun, um etwas zu bekommen, das schon längst da ist. Deshalb war ich immer dankbar für alles, was mich auf den Boden der Tatsachen zurückgesetzt hat, wenn ich wieder drohte, abzuheben. Aber die tiefste Führung war mir immer dieser ungebrochene, unermüdliche, unzerstörbare Wunsch, die Wahrheit über alles zu erfahren.

Er ist es, der mich schonungslos hinschauen lässt, um die größte und unwahrscheinlichste Erkenntnis wahrzunehmen, die es gibt: Alles ist schon immer zutiefst gut. Jeder Mensch, der bereit ist, seine größten Ängste zu überwinden, landet an diesem Ort. Das ist einfach so, weil der Ursprung von allem Liebe ist. Und wer das nicht so sieht, wird das noch sehen. Und zwar genau dann, wenn er zutiefst bereit dafür ist, auch nur entfernt für möglich zu halten, dass alles gut ist – auch wenn nichts danach aussieht.

Denn es sieht nur nicht danach aus, weil Du in Gedanken schaust, die Dich von Dir wegführen, und Du ihnen mehr glaubst als der von Gedanken unberührten Quelle, die Du nie nicht bist. Nicht mehr zu warten und nicht mehr zu hoffen ist pure Freiheit und beherbergt genau die stille Freude, nach der ich immer gesucht habe.

 

 

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In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.

Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.