... was wirklich trägt - anhören

von Nicole Paskow

Heute habe ich Geburtstag. Fünfzig Jahre.

Für viele ist diese Zahl ein Einschnitt, ein Wendepunkt. Man denkt an das Älterwerden, an Vergänglichkeit, an die Jahre, die schon vergangen sind – und an die, die noch bleiben. Auch ich könnte so darauf schauen. Aber in Wahrheit fühlt es sich anders an.

Ja, mein Körper ist 50 Jahre alt geworden. Er hat sich verändert, er trägt Spuren, er wird älter. Aber das, was ich wirklich bin, altert nicht.

Lange habe ich geglaubt, ich sei dieses „Ich“, das sich wie ein Zentrum anfühlt – das denkt, fühlt, hofft, sich sorgt. Doch wenn ich genau hinsehe, erkenne ich: Dieses Ich-Gefühl ist selbst nur etwas, das auftaucht und wieder verschwindet. Ein Gedanke, ein Empfinden, ein Knoten – nicht mehr und nicht weniger.

Die Wirklichkeit vergeht nie

Was nie verschwindet, was immer da ist, ist das Bewusstsein. Nicht „mein“ Bewusstsein. Sondern einfach Bewusstsein: der offene Raum, in dem alles auftaucht – Körper, Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und sogar die Idee, heute 50 Jahre alt zu sein.

Wenn das akzeptiert ist, verändert sich alles. Ich muss das Ich nicht mehr retten oder verteidigen. Ich kann hier sein, ohne mich mit Vergleichen oder Erwartungen zu belasten. Geburtstage verlieren dann ihren Ernst. Sie sind keine Marker für Verlust oder Endlichkeit, sondern nur neue Formen, die im selben offenen Raum erscheinen.

Etwas in mir hat sich schon immer nach dem gesehnt, was wirklich trägt. Nach etwas Endgültigem. Fast wie nach einer „Weltformel“. Früher dachte ich, das müsse etwas Festes, Greifbares sein. Doch im Laufe der Jahre habe ich erkannt: Das, was wirklich Halt gibt, ist gerade das Definitionslose.

Die größte Sicherheit

Reines Bewusstsein ist frei und offen – und genau darin liegt paradoxerweise die größte Sicherheit. Kein lokales Ich könnte sich das je ausdenken. Doch wenn es geschieht, wenn Identifikation durchlässig wird, stellt sich eine Leichtigkeit ein, die unbeschreiblich ist.

Ich dachte früher auch immer, ich müsse „mich“ akzeptieren oder „mich“ fallen lassen. Doch heute sehe ich: es ist ganz anders. Das wirkliche mich sein lassen bedeutet zu bemerken, dass dieses Ich-Empfinden selbst – wie alles andere – in einem stillen Registrieren auftaucht. Alles, was in mir geschieht, ist längst schon zugelassen. Jeder Gedanke, jede Handlung, jede Empfindung ist schon aufgenommen, schon gespiegelt.

Und genau hier liegt die eigentliche Sprengkraft: Dieses Registrieren urteilt nicht. Es prüft nichts, es hält nichts zurück, es korrigiert nichts. Und deshalb kann alles hindurch, was auftauchen will: die wildeste Theorie über das Universum, die zarteste Empfindung, die größte Liebe, die dunkelste Angst, die verrückteste Kreativität. Es gibt keine Form, kein Muster, kein Aussehen von Offenheit. Gerade das macht sie so grandios, so paradox, so unendlich schön.

Die Möglichkeit des Menschseins

Genau dadurch zeigt sich auch das größte Potenzial des Menschen: Nicht an Gedanken oder Gefühlen hängen zu bleiben, ebenso wenig an der eigenen Identität oder an der Verhaftung mit dem Leben. Sondern tief auf sich selbst besonnen zu sein – nicht im Sinn von Egozentrik, sondern auf eine Leere reduziert, die maximale Fülle in sich trägt. In dieser reinen Freiheit des Seins.

Ja, von außen betrachtet, aus der Einschränkung des denkenden Geistes, mag es wirken, als würde man „verrückt“ werden. In Wirklichkeit aber bedeutet es, ganz zu werden – auf eine Art, die klar macht, dass man nie geteilt war. Die Idee der Trennung taucht einfach in dieser Ganzheit auf, ohne sie je zu berühren. Sie war nie ein Hindernis. Und sie war nie Realität.

Wenn das klar wird, verschiebt sich die Perspektive radikal. Es wird deutlich, dass ich nicht das bin, was auftaucht – sondern das, in dem alles auftauchen darf. Dieses Unvergängliche. Und ob jemand anderes das nachvollziehen kann oder nicht, spielt keine Rolle mehr, weil wahre Gewissheit keine Bestätigung braucht. Ich weiß darum und das genügt.

Alles, was bleibt, ist ein tiefes „Danke“. Der Rest wird still – berührt vom Sonnenlicht des Daseins, das auf alles zurückstrahlt.

———————————————————————————————————

Lust, mich bei meinem neuen Buchprojekt „Unglücklich? Nein, danke!“ 
zu begleiten? Dann geht’s hier lang: https://nicolepaskow.de/buchprojekt/ 

Wenn Dich dieser Beitrag inspiriert hat, freue ich mich über eine Spende Deiner Wahl. Bitte „Schenkung“ im Verwendungszweck angeben.Danke.

Zur Buchung eines Gespräches geht es hier entlang

In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.

Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.