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Prolog

Am Anfang steht der Entschluss:

Ich habe keine Lust mehr zu leiden.

Das war der tiefste Entschluss, den ich in meinem Leben jemals wahrgenommen habe.
Es war nicht nur eine Feststellung, sondern ein Entschluss von der Sorte Entschlüsse, die einem plötzlich so klar werden, als würde man nackt in einem heftigen und kalten Regenguss stehen. Man spürt ihn bis auf die Knochen, bis in jede Zelle seines Körpers. Und absolut alles wurde durchnässt und durchdrungen von dieser Information:

Ich habe keine Lust mehr zu leiden.

Die Magie, die in diesem Augenblick lag, war folgende: Im selben Moment, als der Entschluss sich so offen und nackt zeigte, zeigte sich auch die Möglichkeit seiner Verwirklichung. Der kalte Regenguss war keiner, der einen zum Fliehen zwang, sondern einer, der lebendig machte, der mich stehen bleiben ließ, der mich die volle Wucht seiner Wahrheit erfahren ließ und jedes Atom in mir zum Beben brachte. Die Deutlichkeit der Klarheit zu spüren, die Möglichkeit der Erfüllung zu schmecken, die Freiheit zu fühlen, die in diesem Satz mitschwang, war bereits ein Vorbote ihrer Anwesenheit.

Ja. Ich will nicht mehr leiden. Und ich werde nicht mehr leiden.

Es war ein heiliger Moment, der meinem Leben sowohl eine komplett andere Richtung verlieh als auch eine völlig neue Sichtweise auf alles installierte, die sich ab diesem Moment in meinen Alltag zu integrieren begann.

Alle leiden. Jeder einzelne Mensch leidet. Irgendwann wurde mir das zutiefst klar. Das war die Geburt echten Mitgefühls in mir. Ich fühlte mich – vielleicht zum ersten Mal – Menschen wirklich verbunden. Denn ich konnte sie aus einer Tiefe sehen und fühlen, die nicht ihre Fehler sah, sondern ihr Bemühen und ihre stille Verzweiflung. Jeden, den ich auf der Straße traf, dem ich in die Augen sah oder dem ich einfach zusah, wie er mit seinem Hund ging, die Einkaufstaschen trug, die alltäglichsten Dinge verrichtete – jeden konnte ich so fühlen, als käme ich gerade aus einer menschenleeren Wüste, in der ich mein halbes Leben verbracht hatte, um nun, nach Jahrzehnten wieder auf Menschen zu treffen. Auf meinesgleichen.

Jeder war mir auf eine Weise nah, die ich noch nie so voll und tief gefühlt hatte.
Was uns verbindet, ist dieses unaussprechliche Gefühl des Alleinseins, des Kampfes, des Suchens nach Glück, nach schönen Augenblicken, die bleiben sollen – danach, dass endlich alles so wird, wie wir es uns wünschen.
Was uns verbindet, ist die Hoffnung, die Suche nach Verbundenheit, nach einem sicheren Gefühl miteinander, nach Nähe, die nicht bedroht, nach Freundlichkeit, die nicht ausgenutzt wird, nach Hingabe, die nicht manipuliert und fordert, nach Frieden, der bleibt, nach einem Miteinander, das nährend ist, frei, ungezwungen, ehrlich, echt und tragend.

Was uns trennt, ist ein Gedanke.
Der Gedanke, dass wir getrennt sind.
So alt, so tief, dass wir glauben: Wir sind er.
Doch das sind wir nicht.

Und wie ist ein Leben, das davon überzeugt ist, sich gegen anderes Leben verteidigen, behaupten, durchsetzen zu müssen?
Wie fühlt, denkt, atmet, spricht, tut und erlebt sich ein Leben, das glaubt, es müsse bis zum Sterben durchhalten und ums Überleben kämpfen?
Das nach Tricks und Auswegen sucht, seine Schäfchen ins Trockene bringen will, den Erfolg sucht, die Krankheit bekämpft, alles richtig machen, sich mächtig fühlen, unbesiegbar und sicher sein will?
Ein Leben, das immer auf der hellen Seite stehen will und die dunkle Seite bekämpft?

Wie sieht das aus?

Es leidet. Es leidet zutiefst an diesem Gedanken, der sich seiner bemächtigt hat und so tut, als wäre er die Wahrheit über alles.

Und wo versteckt sich dieser Gedanke am besten, damit niemals jemand ihm auf die Spur kommt, um ihn zu entdecken, zu entlarven und seiner Macht zu berauben?
Wo ist der Ort, der so nah ist, dass ihn niemand sehen kann?

Dieser Ort heißt: Ich.
Näher als Sein geht nicht.
Ich kann „mich“ nicht sehen. Ich kann nur ich sein.

Deshalb ist das beste Versteck für einen Gedanken, der die Information in sich trägt, dass ich allein bin, mich anstrengen muss, nicht genug bin, mich niemand anerkennt, mich niemand liebt, mich keiner sieht, ich immer alles falsch mache, besser sein muss als alle anderen, es nicht auf die Reihe kriege, es wie die anderen machen muss, ein Versager bin, es nicht wert bin, immer zur Stelle sein muss, immer helfen muss, immer leisten muss …

Deshalb ist das beste Versteck für diesen Gedanken das Ich-Sein.
Hier ist er so sicher, dass er einen Menschen ein Leben lang wie eine Marionette bedienen kann – ohne dass der Mensch je auf die Idee käme, dass er einem Glauben folgt, der nichts mit ihm zu tun hat.
Sondern etwas ist, das so tief mit ihm verwoben ist, dass er es nicht mehr sehen kann.

Als würde er mit der Nase an einem Bild stehen, das er erst erkennen kann, wenn er ein paar Schritte zurücktritt.
Doch dafür müsste er merken, dass er zu nah dransteht.
Und genau das ist unser Dilemma.

Wir sehen nicht, dass wir zu nah in einem Gedanken stehen – den wir nur deshalb nicht wahrnehmen können.

Wie kommen wir darauf, dass wir da an etwas glauben, das unser gesamtes Leben bestimmt?

Durch bewusstes Leiden.

Erst wenn wir an etwas leiden, zeigt sich, dass etwas nicht in Einklang mit sich ist.
Dass da etwas sein muss, das zwei ist – nicht eins.
Und erst wenn es so weh tut, dass wir darauf aufmerksam werden, schauen wir hin.
Erst dann.
Sonst haben wir absolut keine Veranlassung dazu.
Sonst sind wir eins mit dem, was ist – auf eine so unbewusste Weise, dass wir leiden, ohne es zu wissen, und aus diesem Leiden handeln, als wäre es die Wahrheit, von der wir felsenfest überzeugt sind.

Doch oft erst, wenn der Krebs kommt, der Schlaganfall, wenn der geliebte Mensch geht, die Kinder sich abwenden, die Rente da ist, das Haus abgebrannt, wenn die Katastrophe passiert –
erst dann wacht etwas in uns auf und registriert, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.

Das ist der Moment, an dem jeder Erwachensweg beginnt – ob religiös, psychologisch oder spirituell.

Es beginnt eine Suche, die in das größte Paradoxon der Menschheit führt:
Ich leide, um zu erkennen, dass ich nur leide, um zu erkennen, dass ich eigentlich glücklich bin.

Dort beginnt alles.
Und genau dorthin kehren wir jetzt zurück.

 

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Übung: Der erste Entschluss

Setz Dich still hin.
Schließe die Augen.
Nimm eine Situation in Dir wahr, die unangenehm ist – vielleicht ein Konflikt, eine Unruhe, etwas, das Du nicht willst.

Dann sprich – laut oder in Gedanken:
„Ich habe keine Lust mehr zu leiden.“

Sprich ihn nicht gegen etwas. Sprich ihn aus Dir heraus.
Nicht als Flucht. Nicht als Trotz.
Sondern als Rückkehr.

Spüre, was in Dir geschieht, wenn dieser Satz kein Widerstand, sondern eine Öffnung ist.
Wer hört diesen Satz?
Und was geschieht, wenn Du ihm voll vertraust?