Der gleichgültige Blick der Liebe- anhören

von Nicole Paskow

 

Sobald wir auf die Welt kommen, sind wir darauf angewiesen, dass uns ein anderer Mensch sieht. Wenn wir als Säuglinge nicht wahrgenommen werden und sich folglich niemand um uns kümmert, dann gibt es uns nicht lange auf der Welt. Die Natur ist ein unbeschreibliches Wunderwerk. Wenn wir uns ansehen, mit welcher Präzision, Detailverliebtheit und Vollkommenheit eine banale Fliege konstruiert ist, wenn wir uns mal die Zeit nehmen die Dinge um uns herum wirklich zu betrachten, dann kommen wir nicht umhin festzustellen, dass eine höhere Intelligenz am Werk sein muss, die alles erschaffen hat, was wir wahrnehmen können.

Es wäre unlogisch zu glauben, dass genau diese Intelligenz einen Fehler gemacht hat, indem sie uns Menschen so unglaublich verletzlich gestaltet hat, so verletzlich, dass unser Überleben abhängig von anderen Menschen ist. Deshalb hat es einen Sinn, dass wir von Anfang an in die Obhut anderer gegeben werden.

Es ist vollkommen natürlich, dass sich Mütter und Väter um ihre Kinder kümmern. Es ist natürlich, dass Mutterliebe selbstlos und raumgebend ist und Vaterliebe herausfordernd, mutmachend und stärkend. Es ist natürlich, dass zwei Menschen sich zusammentun, eine Familie gründen und einander in allen Lebenslagen beistehen und es ist auch natürlich einander in Freiheit zu lieben, ohne vertragliche Bindungen, ohne emotionale und mentale Erpressungen.

Wo beginnt die Verzerrung?

Doch wenn wir uns umsehen, könnten wir meinen, dass die Natur sehr wohl fehlerhaft ist und mit jeder neuen Geburt völlig herzlos den Menschen dem Menschen zum Fraß vorwirft. Sehen wir in die Waisenhäuser, sehen wir in die Drogenhöllen, sehen wir uns die Scheidungsraten an, sehen wir die häusliche Gewalt, sehen wir in das Schulsystem, sehen wir in die Leistungsgesellschaft, sehen wir in die Konsumgesellschaft sehen wir uns die Welt an … Dann sehen wir nicht viel Natürlichkeit.

Warum ist das so? Wo fängt all der Irrsinn eigentlich an, den wir erleben? Ich bin seit 48 Jahren auf dieser Welt und habe 48 Jahre gebraucht, um herauszufinden, dass die meisten Menschen zwischen der Hoffnung auf bleibendes Glück und der Abwehr von Unglück hin und her pendeln. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Suche nach dem persönlichen Glück in Form von Gesundheit (am liebsten Alterslosigkeit), andauerndem Wohlstand, persönlicher Liebe und der Freiheit zu tun und zu lassen, was man will, auch genau ihr Gegenteil im Schlepptau hat.

Wer Glück sucht, bekommt auch Unglück. Wir leben innerhalb polarer Kräfte und Rhythmen. Wir leben durch den Einatem und den Ausatem. Das ist der elementarste Rhythmus, von dem unsere körperliche Erscheinung abhängt. Wir leben im Spannungsfeld von Gegensätzen. Und das ist unser Problem. Wir haben ein Entweder – Oder Problem. Entweder Glück oder Unglück. Entweder Liebe oder Hass. Entweder Freund oder Feind. Entweder Richtig oder Falsch. Entweder Gut oder Böse …

Wir sind Glaubende und wissen es nicht

In diesem Spannungsfeld schlagen wir uns die Köpfe ein. Wir streiten und hassen uns, lieben uns leidenschaftlich, hoffen auf Besserung, kämpfen darum unsere Ziele zu erreichen, glauben an einen Sinn und Unsinn, an gutes und schlechtes Karma, daran, dass uns viel Geld glücklich macht und wenig Geld unglücklich, dass wir gesund sein müssen um jeden Preis, das auf A immer B folgt …

Wir glauben an Ideen, an Dinge, an Menschen, an Systeme, an Prinzipien, an Entwicklungen, an Evolution, an Verbesserung und Verschlechterung, an einen guten oder schlechten Ausgang, an unsere Ziele und Vorhaben, an all das, was wir von früher Kindheit an gelehrt bekommen und an das, was wir durch die individuellen Augen der Persönlichkeit als die Welt erfahren. Wir glauben und meistens wissen wir gar nicht, dass wir die Welt durch und als unseren Glauben erfahren.

Wir leben als und in der Präsenz Gottes. Wir könnten aber genau so gut sagen, wir leben als und in der Präsenz der natürlichen Intelligenz. Und in beiden Fällen wissen wir nicht worin wir und als was wir leben. Niemand weiß, was Gott ist, niemand weiß, was natürliche Intelligenz ist. Wir haben nur Worte, an denen wir uns orientieren, doch die Worte sind nur Fingerzeige auf etwas, das auf ewig nicht beschreibbar sein wird, weil es jeder Beschreibung spottet.

Ewiges Schweigen und direktes Wissen

Es ist viel mehr als Worte, Bezeichnungen, Konzepte, Etiketten – das, was wir sind – ist wortlos und so groß, dass es unfassbar ist für den kleinen Filter, den der Geist darstellt. Doch wir vergessen es für unsere Worte, für unsere Welterklärungssysteme, für unsere gefühlte Sicherheit, die nur ein Wesen braucht, das sich einer extremen und unbeherrschbaren Macht gegenübersieht.

Doch wenn wir bereit sind, statt zu glauben, hinzusehen, ohne irgendetwas zu wissen, dann wird alles offenbar. Die Schwierigkeit liegt einzig und allein darin zu verstehen, was es bedeutet, nicht zu wissen.

Natürlich können wir nichts von dem vergessen, was wir gelernt haben. Vergessen ist keine Aktivität, die man beliebig tun kann. Darum geht es auch nicht. Es geht darum ohne innere Kommentare wahrzunehmen. Ohne an etwas Theoretisches gebunden zu sein. Und theoretisch ist alles, was wir nicht direkt wissen können. Es ist alles, wozu wir einen anderen Menschen brauchen, weil wir ihm glauben, eine Theorie, an die wir glauben, einer Studie, der wir glauben, einem Buch, dem wir vertrauen usw. Theorie ist wie eine Speisekarte, die wir für das Essen selbst halten.

Dasein weiß schon immer um sich selbst

Direktes Wissen ist noch so gut wie unerforscht, weil kaum jemand dazu in der Lage ist, Informationen direkt und ungefiltert zu empfangen, ohne, dass ein Glaubenssystem dazwischensteht. Direkt wissen können wir nur unsere Anwesenheit. Die Empfindung von „Dasein“. Dieses Wissen entwickeln wir nicht. Wir kommen nicht „zu uns“, wir erleben keinen Prozess, auch wenn wir es glauben, weil es sich so anfühlt von der Warte der individuellen Persönlichkeit aus gesehen. Sie hat das Gefühl, dass sie etwas lernt, etwas verbessert oder etwas verschlechtert. Sie fühlt sich verantwortlich für ihr Tun, ihre Gedanken und Gefühle, sie erlebt eine scheinbare Evolution.

Doch aus der Perspektive von Dasein aus gesehen, bewegt sich gar nichts. Dasein erkennt sich selbst und dieses Erkennen findet nicht in der Zeit statt, weil das Erkennen und die Erkenntnis schon da sind. Sie sind dem Dasein immanent, sie sind damit verwoben. Dasein weiß um sich selbst. Deshalb gibt es nichts, was es nicht weiß. Direkt und aus erster Hand. Alle Theorien über etwas, sind Theorien über etwas, mehr nicht. Wahrheit kann man nur direkt empfangen. In der Stille des eigenen Geistes.

Die wahre Erforschung der Liebe

Und hier liegt der Ort der wahren Forschung. Hier könnten wir erkennen, was wahre Liebe ist. Sie hat nichts zu tun mit dem, was wir als persönliche Liebe bezeichnen. Denn sie ist ohne Bedingungen. Sie IST, im Sinne von Sein. Sie ist alles, was ist. Wir können Gott dazu sagen, oder Präsenz, oder Dasein, oder Anwesenheit, oder bedingungslose, wahre Liebe oder ewiger Frieden. Oder Gewahrsein oder ICH BIN oder hier und jetzt.

All das sind Fingerzeige auf ein und dieselbe Sache. Der Blick der wahren Liebe erfasst alles Gesehene in gleicher Gültigkeit. Weil der liebende Blick der Ausgangspunkt ist. Der Ausgangspunkt der Welt ist die offenste Offenheit, die möglich ist. Der empfangsbereiteste Empfang, um wahrzunehmen, was ist. Das Gewahrsein des Gewahrseins.

Lieben heißt Dasein

Hier offenbart sich die Ungetrenntheit zwischen dem Blick und dem Gesehenen. Sehen was ist heißt nicht nur das zu sehen, was gesehen wird. Es heißt sehen was oder wer sieht. Sieht die allgegenwärtige Präsenz der Liebe, dann gibt es niemanden, der sich in das Gesehene durch Beurteilungen in gut und schlecht einmischt. Es gibt ihn schlichtweg nicht und hier ist der Weg frei für eine gleiche Gültigkeit auf allen Ebenen.

Sieht die Persönlichkeit, dann ist die Beurteilung aller wahrgenommenen Dinge, Umstände, Ereignisse, Menschen, Meinungen, Ideen … in positiv und negativ eine zwanghafte Konsequenz.

Lieben heißt zutiefst Dasein. Dieses grundlegende Dasein kann jeder Mensch bewusst erfahren. Jeder, der es erfahren will, der den Willen dazu in sich spürt. Es ist nur dieser Erfahrungswille, der ihn in die erforderliche Richtung zieht, die es unvermeidlich macht, dass die Liebe, die sowieso ist, sich auch durch diesen Menschen erfährt. Und ihm die Wirklichkeit des Lebens offenbart, die man von niemandem lernen kann. Man kann sie nur durch sich selbst entdecken.

 

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