Etwas Verwegenes tun. Was wäre das für Dich? Verwegen ist ein schönes Wort. Für mich hat es einen Hauch von Musketier, von Mut, von Lust, von „ich habe nichts zu verlieren“, von „ich trau mich, was ich mich sonst nicht traue, weil ich es spüren will …“

Verwegen sein bedeutet über den eigenen Horizont zu schauen, um zu sehen, was dort ist. Es bedeutet neugierig sein, es bedeutet nicht zu wissen, was Dich erwartet, es bedeutet Dich von der Leine zu lassen und scheitern zu können. Schmerzen zu erleiden, Scham zu spüren, vielleicht sogar Schuld. Bereit dazu zu sein. Aber auch Herzklopfen, Aufbruch, Lebendigkeit und eine vollkommen neue Erfahrung mit Dir selbst.

Überwiegt die Angst vorm Scheitern oder die Lust an der Lebendigkeit, am Neuen, am Unbekannten? Das nämlich entscheidet über den Grad an Freiheit, den Du in Deinem Leben spüren wirst. Und Du kannst das nur für Dich selbst herausfinden. Wo beginnt Dein persönlicher Abgrund?

Wovor hast Du Angst?

Das, wovor Du wirklich Angst hast? Im Flugzeug? Bei einer Rede vor anderen Menschen? Beim Blick auf Dein Konto? Dieser einen Frau Deine Liebe zu gestehen? Hast Du Angst vor der Diagnose? Davor, jemanden zu verlieren? Nicht zu wissen, wie es weitergeht? Keinen Plan zu haben? Allein zu sein? Allein zu sterben? Was ist es?

Dort, wo Du den Verstand verlierst, wo es irrational wird, wo es keine Erklärungen mehr in Dir gibt, wo Dir keiner helfen kann, wo Du allein bist: Das ist der Ort, an dem Du am meisten lernen kannst.

Es gibt keinen schlimmeren und keinen besseren Ort. Niemand will ihn freiwillig aufsuchen, deswegen erledigt das normalerweise das Leben selbst. Es zwingt Dich in die Knie. Außer, Du versteckst Dich so erfolgreich vor Deinem Leben, dass es Dich nicht finden kann. Aber das passiert nur selten. Und früher oder später müssen wir alle dran glauben. Denn das Leben ist auf Wachstum aus. Es will sich erfahren. Es will sich erweitern, es will über seinen eigenen Horizont steigen.

Wir verursachen Staus

Wenn Du Dich wehrst, dann erleidest Du psychische Schmerzen, Krankheiten, Unfälle und sehr unangenehme Situationen. Und fast jeder Mensch wehrt sich. Und ich weiß, ich lehne mich weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, Krankheiten gibt es nur, weil wir uns wehren. Wir wehren uns gegen Gefühle, Gedanken, Empfindungen. Beweise mir das Gegenteil!

Das heißt, wir unterbrechen den Energiefluss. Wir jagen uns selbst die Begrenzung und Unterbrechung in den fließenden Strom. Dann gibt es Staus. Und diese Ansammlungen von nicht abfließender Energie drücken sich auf vielfältige Weise aus. Wo sonst, als durch den Körper?

Und dann kommt die Angst … „Was hab ich? Was ist das nur? Was kann ich dagegen tun? Wie werde ich das wieder los?“ Die Antwort auf alles lautet:

Sei damit.

„Sei damit“ ist das größte offene Geheimnis, das es gibt. Nur kaum einer befolgt es. Denn es erfordert genau das, was am Anfang dieses Textes steht: Verwegenheit, Mut, Neugier und vor allem – Nichtwissen.

„Sei damit“ kann auch nur derjenige befolgen, der schon eine Ahnung davon hat, wer er ist. Jeder andere wird es zum Konzept verdrehen. „Damit es weggeht, muss ich jetzt damit sein und beiße die Zähne zusammen und halte es aus!“ So geht das aber nicht. „Sei damit“ lässt keine Tricks zu. Es entlarvt jedes „So tun als ob“.

Mit dem Unangenehmen und auch mit dem Schlimmen zu sein, was auch immer es ist, bedeutet sich in der Ruhe zu verankern. Komme, was wolle. Ganz echt, ganz wirklich, ganz wahrhaftig. Es ernst meinen mit der Ruhe.
Im Sturm. Die Ruhe ist Priorität Nummer 1, egal, was passiert. Wer ist da schon dazu bereit? Die meisten zieht doch schon eine Zugverspätung aus den Schuhen …

Nein, ich bleibe hier. Was auch immer geschieht.

Wenn das die Ausrichtung ist, wird das Leben auf erstaunliche Weise leicht.

Die Frustrationstoleranz verschiebt sich um viele Grade weiter. Und es wird dadurch zwangsläufig etwas anderes wahrgenommen. Dann zeigt sich nämlich folgendes: Probleme gibt es nur, wenn sie so gesehen werden. Ansonsten gibt es Geschehnisse. Vorkommnisse, die sind, wie sie sind. Es ist völlig klar, dass es keinen Sinn macht, sich aufzuregen.

Es ist ja schon geschehen und nun können wir auch völlig sachlich damit umgehen. Einfach, ungezwungen, vielleicht sogar freundlich, wenn andere involviert sind. Aber bestimmt und klar. Die Ruhe bringt nichts aus der Ruhe. Du bist die Ruhe. Jeder Mensch ist die Ruhe, aber weil er so oft aus „den Latschen“ kippt, weiß er es nicht. Er kippt auch nur so oft „aus den Latschen“, weil er es nicht weiß. Ein waschechter circulus viciosus.

„Sei damit“, ist eine Dimension. Wenn man damit keine Erfahrung hat, weiß man nicht, wie groß und ausufernd diese Anweisung ist, wenn man sie befolgt. Dass sie alles im Leben betrifft. Alles. Und alles verändert. „Sei mit jeder Situation“, verhindert, dass Du die Begrenzung in Deinen Fluss rammst.

Reaktion vs. Erfahrung

Bevor Du einer Begebenheit gestattest Dich zu durchbohren, die Dich damit in eine Reaktion zwingt, fängt die Ruhe den Pfeil ab. Ob im Flugzeug, beim Blick aufs Konto, beim Geständnis, einer Rede, der Diagnose, dem Verlust etc.

Für mich ist das eine Lebensschule. Mich hat immer alles sofort durchbohrt und ich habe sofort abwehrend reagiert.  Aber die Ruhe, die ich jetzt erfahre, ist, als ob der Pfeil auf ein weiches Kissen trifft und mich gar nicht mehr so intensiv erreicht. Das bewirkt, dass mein Blick geöffnet bleibt, ich Zeit gewinne und er sich nicht auf den Punkt der Intensität verengt und ich pfeilschnell reagiere. Entweder mit Gedanken, Emotionen oder Handlungen.

Ich erfahre eine zwar abgepufferte Version einer Emotion, aber dafür erfahre ich sie vollständig und muss nichts von ihr abwehren, weil sie mich nicht sofort durchbohrt. Ich muss dem Fluss keinen Einhalt mehr gebieten. Ich bin in mir expandiert und verschmelze mit der Kraft der Stille. Darin zeigt sich die Bedeutungslosigkeit jedes Pfeils, der auf mein Herz zielt. Soll er doch, ICH BIN da.

Ich hoffe, Du kannst mir folgen …

Der Gegenpol

Es gibt ja auch die Menschen, die vom gegenüberliegenden Ufer kommen. Sie erfahren, statt der Intensität der Emotionen – die Ruhe zuerst. Aber es ist eine falsche Ruhe, denn sie wehrt die Intensität vollständig ab, anstatt nur ihre Wucht zu verlangsamen, damit sie nicht alles überwältigt und zerstört.

Diese Menschen erfahren ihre tiefen, intensiven Gefühle nicht, weil sie viel zu offen bleiben, zu indifferent, um sich dadurch vor der Wucht des inneren Feuers zu schützen. Diese Menschen scheuen die Eindeutigkeit. Aus Angst – die aus dem Scheinwissen stammt: „Dann geschieht etwas wirklich Schlimmes!“

„Sei damit“, bedeutet für sie wiederum sich dieser Gewalt zu stellen, sie durchzulassen, wie ein brennender Leuchtturm: Durch die Tür kommt das Feuer hinein und durch das Dach strömt es wieder hinaus. Und Du stehst im Feuer und brennst. Das auszuhalten und darin total aufzugehen, macht Dich unendlich lebendig.

Intensität sein  – oder erfahren

Meine Lebendigkeit besteht darin die Intensität nicht dadurch abzuwehren, dass ich mich vollständig von ihr übernehmen lasse. (Ich muss nicht brennen, ich brenne sowieso). Nein, ich bereite ihr ein Bett aus Ruhe, in dem sie sich langsam ausbreiten darf, so dass ich jede Faser ihres Daseins vollständig erspüren kann und erlebe, wie sie auch wieder geht.

Ich mache Zeitlupe aus der Intensität, um sie in der Stille, die ich bin, vollständig zu erfahren, ohne auch nur ein Jota davon abzuwehren. Und mein Gegenpolmensch verbrennt in der Intensität zu der Stille, die er ist. Das ist seine Erfahrung. Er muss also vollständig in das inkarnieren, was ist. Ich exkarniere.

Es sind zwei unterschiedliche Arten von Wahrnehmung, die zum gleichen Ergebnis führen. Advaita und Tantra …

Der Punkt ist, um den Bogen zu kriegen, wenn Du den Ort in Dir erreichst, wo es nur um Dich geht, wo es, in diesem Augenblick, keine Bindungen mehr gibt, weder nach innen noch nach außen und Du allein mit Dir selbst bist, wirklich allein mit Dir – dann wirst Du es spüren.

Verzweiflung oder Erlösung

Entweder Du verzweifelst, weil Du Dich so wenig spürst, dass Du Dich nach einem Zweiten sehnst, der Dich aus der Situation rettet, oder Du gehst völlig in Dir auf und merkst, dass dieses in Dir Aufgehen, jede Grenze verschwinden lässt. Wenn das geschieht, gibt es keinen Ort mehr ohne Dich. Du bist alles und gleichzeitig gibt es keinen Ort mehr mit Dir. Du bist nichts.

Darin ist kein Nanometer Platz für das Gefühl einsam zu sein, denn Du bist erfüllt mit Dir und entleert von Dir: Du bist.

Dieses Sein fühlt sich immer wieder verwegen an. Immer dann, wenn Du merkst, dass die Angst geht, wenn Du da bleibst.  Du kannst alles fühlen, was sich zeigt. Entweder Du gehst völlig darin auf, oder Du bleibst so still, dass Du es vollkommen erfahren kannst, was auch immer es ist. In beiden Fällen bist Du die Stille, die sich selbst in Bewegung erfährt.

Wir haben immer nur Angst vor uns selbst. Wenn wir wahrhaftig verstehen, dass wir uns selbst spüren, in jedem Augenblick bei jedem Gefühl, das wir haben, schmilzt der Widerstand. Du kannst Dir selbst nichts Fremdes, Feindliches oder Anderes sein. Wir werden zu diesem Gefühl oder wir erfahren dieses Gefühl. In beiden Fällen bleiben wir bei uns selbst. Und das ist wirklich atemberaubend.

 

Wenn Dich dieser Beitrag inspiriert hat, freue ich mich über eine Spende Deiner Wahl.

Zur Buchung eines Gespräches geht es hier entlang