Die größte Offenheit, die wir in uns selbst erreichen können, ist, alles so ablaufen zu lassen, wie es geschieht. Egal, was es ist. Nistet sich diese Haltung in Dein System ein und schafft es sogar die Regie zu übernehmen, dann ist alles vorbei, was sich nach Leiden anfühlt.

Der Verstand, der an sein Selbstbild glaubt, will daraus sofort einen Strick drehen, indem er sagt: „Was? Wenn ich mich ablaufen lasse, wie ich geschehe, dann laufe ich Amok, oder ich liege den ganzen Tag auf dem Sofa oder ich zeige allen den Mittelfinger und so weiter.“

Zumindest war das der Tenor, den ich oft zu hören bekommen habe, wenn ich Menschen vorgeschlagen habe, sich selbst in Ruhe zu lassen und nicht mehr auf den inneren Kritiker zu hören, oder die Stimme, die sie klein macht.

Letztendlich zeigt das nur, wie angespannt der Verstand ist und in welcher Notsituation er sich befindet.

Völlige geistige Entspanntheit

Er hat eben keine Ahnung, was wahrhaftige Entspannung bedeutet, weil er selbst immer angespannt ist. Das kommt daher, dass er zwischen den Polen pendeln muss. Zwischen den Gegensätzen. Meistens zwischen Gut und Schlecht. Am schlimmsten ist es, wenn er glaubt das zu wissen und sich verbietet zwischen den Polen hin und her zu pendeln, weil das ja nicht richtig ist. Er merkt dabei nicht, dass er sich das nächste Grab damit schaufelt.

Offenheit ist das gleiche wie vollständige geistige Entspanntheit. Der glaubende Verstand ist immer unter einer gewissen Spannung. Weil er glaubt. Sein Glaube verbraucht so viel Energie, dass er als „Etwas“ auftaucht. Und das ist schon zu viel.

Heute in einem Austausch über Zahlen, sagte mein Gesprächspartner, dass selbst die Null schon die Eins sei. Was er damit sagen wollte, ist, dass selbst die Null bereits etwas ist, das da ist. Sie ist schon etwas Wahrgenommenes und deshalb ist die Null nicht Nichts. Sie ist schon das, was die Eins vorgibt zu sein: Das Erste, was erscheint. Dabei ist es die Null, die das Erste ist, was erscheint.

Anders gesagt, selbst das Nichts ist noch Etwas. Es ist nicht das, was wir unter „Nichts“ verstehen, nämlich die Abwesenheit von Etwas. Nichts ist nur ein Pol, der sofort den zweiten Pol im Schlepptau hat: Das Nichts erscheint nur in Zusammenhang mit dem Etwas. Und diese Verbindung ist bereits die Erschaffung von Leid, wenn wir die große Mitte nicht kennen, die alle Pole sprengt.

Wenn niemand da ist, ist alles hier

Praktischer gesagt: Vollständige geistige Entspanntheit ist dann möglich, wenn ich einfach nur „da“ bin. Ich sitze hier, schaue aus meinen Augen und weiß gar nichts. Ja, das geht. Das bedeutet nicht, dass ich alles vergessen habe, was ich über die Welt und alles andere gelernt habe. Ich weiß immer noch, was Regen ist, ein Hund, Politik oder Geometrie.

Aber es ist einfach nicht wichtig, es bedeutet nichts mehr. Es macht keine Aussage mehr über mein Leben. Ich brauche mein Wissen für gar nichts. Weil es vollständig ausreicht, einfach nur da zu sein.
Offenheit ist der Raum, in dem ich existiere. Es ist der Raum, in dem alles existiert.

In absoluter Offenheit herrscht absolutes Nichtwissen. Und das ist in jedem Augenblick so. Wäre es nicht so, könnte kein Mensch etwas wahrnehmen, weil es ihn nicht in der Wahrnehmung gäbe. Die Wahrnehmung ist nur ein anderes Wort für Offenheit. Aber beide Worte deuten auf dasselbe hin. Hätte die Wahrnehmung selbst bereits ein Konzept darüber, was sie wahrnehmen will, wäre die Welt nicht das, was wir erleben. Um zu existieren, brauchen wir etwas, das so sehr abwesend ist, dass alles andere anwesend sein kann.

Der Spiegel

Die vollkommene Anwesenheit ist das, wie vollkommene Abwesenheit aussieht. Der Tod sieht sich selbst im Spiegel als Leben.  Und das erfahren wir Menschen als Natur. Die Natur ist der perfekte Ausdruck für dieses Prinzip. Man könnte sagen: So wie die Natur sich zeigt, so sieht reines Bewusstsein aus.

Und dann sehen wir auf uns. Den Menschen. Wir sind der gleiche Ausdruck nur mit Störfrequenzen.
Die Störfrequenzen entsprechen den Konzepten, mit denen unser offener Raum tapeziert ist. Es ist die Tapete, die die Wände erschafft und damit die Grenzen.

Denn der Mensch, der in Konzepten lebt, spürt seine Konzepthaftigkeit durch die Grenzen, die er sich dadurch erschaffen hat. Ursprünglich, um sich zu orientieren, doch dann wurde das Ganze zur Überlebensstrategie und produzierte genau die problembehaftete Welt, die der Mensch seit Jahrtausenden erlebt.

Das Zünglein an der Waage

Offenheit ist unsere Natur. Keine inneren Grenzen. Keine Ideen davon, wer wir sind und wer der andere ist. Wir machen uns damit nur fertig. Uns selbst und den anderen auch. Viele Menschen, die auf dem Weg zu sich selbst sind, glauben eine innere Evolution zu erleben und dass sich ihr Leben endlich besser anfühlt als vor xx Jahren, seit sie auf „ihrem Weg“ sind.

Oft fühlen sie sich dadurch berechtigt auch anderen Menschen davon zu erzählen und sie zu ermutigen doch auch den gleichen Weg einzuschlagen. Was noch nicht das Problem ist. Doch… dann kommen auch gleich die gutgemeinten Ratschläge und die hilfreichen Vorschläge, wie das gehen kann und die Hinweise, wo der andere noch so seine blinden Flecken hat…

Diese Menschen ernten immer wieder Enttäuschung, weil ihre Angebote nicht fruchten. Als wären die anderen immun dagegen oder zu dumm, oder zu unbewusst oder einfach noch nicht „so weit“. Und dann fühlen sie sich einsam. Unverstanden, nicht gesehen. Traurig. Allein. Unfähig. Und meinen, dass „Bewusstheit“ automatisch einsam mache, weil man ja allein auf der Welt sei mit seinem Wissen darüber, wie es wirklich ist.

Tricky …

Ein häufiges Phänomen, das sehr deutlich macht, wie hartnäckig und trickreich die Persönlichkeit, der glaubende Verstand, das Ego … ist. Es hört einfach nicht auf damit, nach einem Weg zu suchen, wie es „besser“ geht. Wie es „besser“ wird, als es ist.

Damit bleibt immer etwas im Raum, das zu viel ist. Diese dumme Idee von „so sollte es sein, damit es gut und richtig ist.“ Sie ist hartnäckig, diese Idee. Sie zu durchschauen ist nicht einfach. Weil man an die Substanz muss, um sie zu sehen. Man muss sich an den eigenen Kragen packen, um sie wahrzunehmen.

Sie ist die letzte Grenze vor der Offenheit. Wenn diese Idee fällt, bist Du nur noch „da“.
Dann gibt es nichts mehr, was sich anspannt, was den Kopf aus dem Wasser hebt und sagt „Hier!“
Dann bist Du hier und weißt es und musst es nicht mehr ständig jedem beweisen und von jedem bestätigt bekommen, indem Du Deine Strategien fährst, um Anerkennung zu bekommen.

Du bist da. Das Wetter in Dir ist freundlich. Das ist die Grundhaltung.

Keine Lücke in Dir

Alles weitere ergibt sich hierheraus. In dieser Haltung gibt es keine Grenze in Dir zu Dir. Es gibt schlicht keine Idee über Dich. Du bist einfach da. Und dadurch gibt es keine Grenze zum anderen. Er ist auch da. So, wie er ist. Er muss sich genauso wenig verbessern wie Du. In Deinem grenzenlosen Dasein spürst Du, wo es Dich hinzieht und wohin nicht. Du bewegst Dich natürlich. Und solltest Du in ein Umfeld geraten, das Dir nicht entspricht, wird Dich nichts dort festhalten. Du bist EINS mit Dir. So sehr, dass kein Gedanke mehr nötig ist.

Das einzige Mittel, das langfristig heilt, heißt Offenheit. Ein konzeptloser Raum lässt alles frei so zu sein, wie es ist. Jeder Mensch spürt, wenn der andere ihm auch nur durch einen unausgesprochenen Gedanken signalisiert, dass er nicht richtig ist, so, wie er ist. Dass er, in seinem eigenen Interesse, etwas ändern sollte, umdenken, oder so. Wir spüren sowas. Alle. Dann bleibt etwas angespannt, auch wenn der andere es nur gut meint … Wir können uns alles sagen, auf alles aufmerksam machen, aber es kommt auf die innere Haltung an.

Wenn wir uns selbst lassen, gibt es keinen Grund mehr, den anderen nicht zu lassen, auch wenn der andere gerade leidet. Wer sind wir, dass wir wissen könnten, was für den anderen gut ist und ihm seinen Schmerz nehmen wollen? Wirkliches Mitgefühl weiß, dass kein Schmerz den Menschen umbringt. Nur abgewehrter Schmerz kann das. Also seien wir doch der Raum für uns selbst und für den anderen, in dem der Schmerz sich unkommentiert ausbreiten kann, um unkommentiert wieder gehen zu können. Dann entspannt sich etwas und die Abwehr wird herunterfahren.

Jede Abwehr, auch die, über die man sich gar nicht bewusst war. Dann spürt man diese Entspannung, die sich aufgrund einer vorherigen Anspannung zeigt. Man spürt den Unterschied.

Der Gipfel der Entspannung

Ist man einmal auf dem Weg der Entspannung, verlässt man ihn nicht mehr. Dafür fühlt es sich einfach zu gut an.  Und der Gipfel der Entspannung ist das Bewusstsein darüber, einfach nur da zu sein und nichts zu wissen. Alles zu empfangen. Das ist das Leben. Ein einziger Empfang. Dasein ist entspannt und glücklich mit sich selbst.

Und dadurch mit allem, was es empfängt. In seiner Entspanntheit ist jeder Mensch schön. Jeder. Wenn wir keine Abwehr gegen den anderen spüren. Wenn sie einfach nicht da ist, weil jeder entspannt in sich und bei sich ist. Dann gibt es Begegnung. Dann ist sogar jede Begegnung Liebe.

Ich will nichts von mir selbst, also will ich auch nichts von Dir. In diesem Raum können wir so sein, wie wir sind. Und wir werden entspannt sein und uns freuen. Ganz automatisch. Selbst wenn der andere noch nicht so entspannt ist wie wir. Das muss er nicht. Wenn ich mich durch seine Unentspanntheit aus meiner Entspanntheit herausbewegen lasse, deutet das einzig auf meine Unentspanntheit hin.

Und damit darauf, dass da gerade jemand in mir „hier“ schreit, um gesehen zu werden, vom anderen. Weil ich nicht da bin. Dann komme ich wieder zu mir und entspanne mich, Und siehe da: Entweder geht der andere oder er entspannt sich auch. Beides ist stimmig.

Dasein braucht nichts. Das ist Frieden und macht Freude.

 

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