Die Mutter in uns - anhören

von Nicole Paskow

Heute ist Muttertag – ein Tag, der in vielen von uns etwas zum Schwingen bringt. Für manche ist es ein Tag der Dankbarkeit, für andere ein Tag der Wehmut, der Wunden oder des Stillwerdens. Was auch immer dieser Tag in Dir berührt, vielleicht ist es eine Einladung, den Blick zu weiten. Nicht nur auf die Menschen, die uns geboren oder begleitet haben, sondern auf das, wofür das Muttersein in seinem tiefsten Sinne steht.

Denn dieser Tag erinnert nicht nur an die Frau, die uns zur Welt gebracht hat. Er kann auch ein Anlass sein, an jene innere Instanz zu erinnern, die in jedem von uns wohnt – unabhängig davon, ob wir Mutter sind, eine Mutter haben, vermissen oder nie gekannt haben. Es geht um einen Ort in uns, an dem wir genährt werden. Einen inneren Raum, der uns rückverbindet mit dem, was uns trägt, bevor wir irgendetwas tun oder leisten.

Doch oft ist dieser Ort verschüttet unter Schichten von Gedanken, Erwartungen, Selbstbildern und Alltagsdruck. Wir sind beschäftigt, wir funktionieren, wir denken viel – manchmal zu viel. Und dieses Denken, versperrt manchmal den Blick auf das Wesentliche: auf das, was schon da ist.

Der Raum unter den Gedanken

Diese innere Rückverbindung beginnt immer damit, einen Moment still zu werden. Nicht gleich eine Antwort zu suchen, nicht sofort zu analysieren, was fehlt oder was noch zu tun ist. Sondern sich zu fragen: Was nährt mich wirklich? Was lässt mich zur Ruhe kommen – ganz tief, unterhalb aller Gedanken?

Wenn wir dem Muttersein eine tiefere Bedeutung geben, dann ist es nicht nur die physische Mutter, die uns geprägt hat. Sie steht sinnbildlich für eine Quelle, aus der wir stammen. Eine Quelle, die uns nicht nur das Leben schenkt, sondern auch die Kraft, es zu tragen. Die uns ermöglicht, zu wachsen, zu erblühen, unser eigenes Erleben zu gestalten – und dabei nie ganz zu vergessen, woher wir kommen.

Die Mutter ist ein Symbol für jene ursprüngliche Verbundenheit, die allem innewohnt. Eine Verbundenheit, die wir im Laufe des Lebens scheinbar verlieren – weil wir lernen, uns als getrennt wahrzunehmen. Und doch bleibt in uns eine Ahnung, ein tiefes Wissen darum, dass es diesen Ort noch gibt. Dass da etwas ist, das uns meint, uns hält, uns spürt – selbst dann, wenn wir uns selbst nicht mehr spüren.

Zurück zur Quelle

Jeder Mensch trägt diesen Ort in sich. Manche entdecken ihn in der Stille, andere in der Natur, in der Meditation oder einfach in einem Moment, in dem keine Wünsche offen sind. Wenn der Druck abfällt, das Tempo nachlässt, das Suchen verstummt. Wenn wir für eine Zeitlang nichts mehr von der Welt verlangen – weder Antworten noch Lösungen – und einfach da sind.

Es ist ein Ort, der sich nicht mit Worten beschreiben lässt, weil er vor den Worten liegt. Und doch kennt ihn jeder. Er ist wie ein stilles Aufmerken, wie ein Lauschen, das keiner Richtung folgt. Wie bei einer Katze, die plötzlich etwas hört. Wie sie den Kopf hebt, die Ohren spitzt und ihr gesamtes Wesen in absoluter Präsenz verweilt. Genau dieses Lauschen, diese gespannte Wachheit ohne Gedanken – das ist der Raum, in dem wir wieder ganz bei uns sind.

Es ist der Ort in uns, der keine Urteile kennt. Der nicht fragt, ob etwas richtig oder falsch ist, ob wir genug sind oder nicht. Er ist einfach da. Und wir sind da – mit allem, was wir sind.

Das stille Ja

In schweren Zeiten, in denen wir uns isoliert oder verwirrt fühlen, in denen wir das Gefühl haben, den Boden unter den Füßen zu verlieren, kann diese innere Mutter – dieses nährende Prinzip – zur stärksten Kraft in uns werden. Sie fordert nichts, erwartet nichts. Sie sieht uns einfach. Hält uns. Ohne zu greifen.

Wenn wir lernen, diesen Raum bewusst zu betreten, können wir beginnen, uns selbst zu nähren. Wir müssen nicht warten, dass es jemand anderes für uns tut. Nicht, dass das nicht schön wäre. Aber es ist nicht notwendig. Denn was wir suchen, wohnt längst in uns.

Diese innere Mutter ist kein Konzept, keine Vorstellung. Sie ist das reine Dasein. Der Raum, aus dem sich alles entfaltet. Sie urteilt nicht. Sie korrigiert nicht. Sie ist ein tiefes Ja zum Leben selbst – zu allem, was in uns geschieht. Zu jeder Regung, zu jedem Gefühl, zu jeder Erfahrung. Nicht als Emotion. Sondern als Grundhaltung.

Klarheit aus dem Inneren

Wenn wir diesen Ort erkennen, ist es, als würden wir unsere innere Brille reinigen. Alles wird klarer. Und wir beginnen zu verstehen, was das Leben uns über uns selbst erzählen will. Dann erkennen wir, dass jede Suche im Außen nur ein Spiegel ist für das, was in uns schon existiert – aber oft überlagert ist von alten Geschichten, von Erwartung, von Schmerz.

Und so ist vielleicht das größte Geschenk, das wir uns selbst zum Muttertag machen können, diese Rückverbindung. Zu spüren: Ich bin Kind und Mutter zugleich. Ich bin Quelle und Schöpfung in einem. Ich trage in mir das Vermögen, mich zu halten, zu nähren, zu lieben – nicht als romantische Idee, sondern als ganz reales Erleben im Innersten.

Dann dürfen wir auch unsere tatsächlichen Mütter loslassen – in ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Wir geben ihnen zurück, was nicht zu uns gehört. Und nehmen selbst in die Hand, was uns heute nährt.

Du bist getragen

Es geht nicht um Perfektion. Nicht um spirituelle Höchstleistungen. Es geht um diese stille Bereitschaft, uns selbst wieder zu begegnen – unter all dem, was sich in uns zeigt.

Die Mutter in uns kennt kein Urteil. Sie ist einfach da.

Vielleicht ist sie das schönste Geschenk, das uns das Leben mitgegeben hat. Und vielleicht ist heute ein guter Tag, um sie wieder zu spüren.

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In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.

Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.