Angst vor der Liebe - anhören

von Nicole Paskow

Nichts kann einem so sehr Angst machen wie die Liebe. Ganz gleich, ob wir von der konditionierten Liebe sprechen, die sich auf einen anderen Menschen bezieht, oder von der wahren Liebe, die sich allein auf sich selbst richtet. Warum ist das so?

Ab dem Moment, in dem wir anfangen, uns selbst als etwas Eigenständiges zu sehen, trennen wir uns vom anderen ab. Wir beziehen unsere Wohnung und nennen sie „Ich“. Dieses getrennte Ich ist nun angehalten, sich zu verteidigen, sich zu bewahren, sich zu bestärken und zu schützen. Je nachdem, was es erlebt, begreift es seine Umwelt als freundlich, feindlich oder eine Mischung aus beidem – und fühlt sich entsprechend mehr oder weniger geliebt.

Wir vergessen unseren Ursprung, wenn diese Trennung geschieht. Wir fallen in den Film unseres Lebens und sind uns der zusehenden, wahrnehmenden Instanz nicht mehr bewusst. Kaum jemand kann sie uns zeigen, weil sich kaum jemand ihrer gewahr ist. Vor dieser geistigen Trennung – die nur scheinbar ist, sich aber real anfühlt – sind wir als Bewusstsein eins mit dem, was uns erscheint. Erst mit der Unterscheidung zwischen „mir“ und „dir“ beginnt das Drama. Im religiösen Kontext entspricht dies dem Fall aus dem Paradies. Wir werden uns unserer Anwesenheit bewusst, und diese geschieht durch die Trennung in Ich und Du.

Diese Trennung ist kein Problem, solange klar ist, dass sie nur scheinbar ist. Denn der Bewusstseinsstrom, der uns trägt und formt, ist niemals weg. „Gott“, wenn wir so wollen, ist niemals verschwunden. Er ist der Erschaffer und der Stoff, aus dem wir bestehen. „Ich bin eins mit dem Vater. Der Vater ist größer als ich.“ – so steht es im Johannesevangelium (Kap. 14, Vers 28). Übersetzt: Ich bin dasselbe wie das Gewahrsein, das ist – und doch ist das Gewahrsein größer als ich.

Das Verteidigungszentrum

Warum ist es größer? Bewusstsein – das Wissen um alles – ist das, worin ich als Mensch erscheine. Es ist größer als ich, weil es der Ursprung meiner Existenz ist. Ich als Mensch bin nicht das erschaffende Prinzip, ich bin das Erschaffene. Wir sind Bewusstsein in menschlicher Form und damit eins mit etwas, das größer ist als jede Form, die wir darstellen.
Bewusstsein ist immer da. Wenn wir uns dessen bewusst sind, stellt das die Rückverbindung zu unserem Ursprung dar. Denken, sehen und handeln geschehen dann wieder in Übereinstimmung mit diesem Ursprung. Wir sind verbunden mit dem Wissen um alles – mit dem Bewusstsein selbst.

Doch dieses Wissen macht dem abgetrennten Wesen, als das wir aufwachsen, Angst. Es wirklich zu verkörpern, erfordert einen echten Übergang von einer Dimension in die andere. Da wir gewohnt sind, zu verteidigen, was wir haben, geben wir unser Wissen nicht einfach her. Vor der Tür zur Unendlichkeit der Liebe steht die Angst – und sie müssen wir überwinden.

Warum macht Liebe so Angst? Weil sie uns zu nahekommt. Wir drohen, den Selbstschutz zu verlieren und uns in ihr aufzulösen – etwas, das das Verteidigungszentrum nicht zulassen will. Ihm ist nicht klar, dass es längst in Liebe gebettet ist. Es fürchtet Vernichtung, sobald es sich hingibt an etwas, das es nicht kontrollieren kann.

Die Falle der Abhängigkeit

All unsere zwischenmenschlichen Probleme sind letztlich Nähe-Distanz-Probleme. Wir wollen unsere Position niemals aufgeben – außer, wenn wir verliebt sind. In der Verliebtheit erleben wir eine Art Verschmelzung, die der mit unserem ursprünglichen Sein ähnelt. Grenzen werden durchlässig, wir erfahren ein „Wir“-Gefühl, das Glück erzeugt.
Doch sobald die Verliebtheit nachlässt – und das tut sie zuverlässig –, treten die Grenzen wieder hervor. Dann zeigt sich, ob wahre Liebe erkannt wurde oder nicht. Wenn ich glaube, dass Du mir etwas geben kannst, das mir allein fehlt, beginnt Abhängigkeit. Sie zerstört die Liebe, die zuvor da war.

Solange wir meinen, vom anderen etwas zu bekommen, das uns selbst fehlt, herrscht Korruption. Das abgetrennte Ich fühlt sich von Natur aus allein und sucht deshalb Gemeinschaft – ein Du, das es vervollständigt. Das nennen wir Romantik. Sie fühlt sich wunderbar an, ist aber eine Falle, die uns in Abhängigkeit und Unwahrheit hält.

Wer oft genug damit gescheitert ist, hat vielleicht die Chance, innezuhalten und zu erkennen, wo das Problem beginnt. Tief genug geschaut, zeigt sich: Die Annahme „Ich bin allein, ich bin getrennt“ ist falsch. Die einzige Trennung zwischen uns und der Welt – oder dem Du – ist der Gedanke, dass wir getrennt sind. Alle Probleme wurzeln in diesem Gedanken. Solange er nicht erkannt ist, tappen wir immer wieder in dieselbe Falle.

Welche Einsicht wir brauchen und welche Kraft es braucht, um die Rakete unseres Geistes von der Erdanziehungskraft zu lösen, besprechen wir heute im Freiraum. Infos hier: https://nicolepaskow.de/freiraum/

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In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.

Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.