Nach dem letzten Augenblick - anhören

von Nicole Paskow

 

Ein Blatt fällt vom Baum. Eine Blüte schwebt vom Stempel zu Boden. Das Licht geht aus. Der Atem verstummt und der Blick öffnet sich. Der Moment des Sterbens ist wie ein Ende von Etwas. Das Ende des Lebens. So, wie das Ende der Schulzeit, das Ende der Kindheit, das Ende der Beziehung, das Ende des Frühstücks. Eine Bewegung hört auf.

Eine Bewegung, die einen Anfang und ein Ende hat. Mit der Geburt fängt alles an. Mit dem Tod hört alles auf. Mit der ersten Klasse fängt die Schulzeit an und spätestens mit der 13. Klasse hört sie auf. Eine vollendete Bewegung von vielen Bewegungen, die sich selbst in der Zeit vollenden.

Und doch sind wir es, die Bewegungen sehen und ihren Anfang und ihr Ende definieren. „Wir“ : Perspektiven, die sich ihrer selbst bewusst sind. Blickwinkel in einem einzigen Blick. Milliarden Augen, die um ihr Sehen wissen und ihr jeweils einzigartiges Geschehnis erfahren. Die Vielheit im Einen. Bewegung in der Stille.

Es ist  nur eine Spanne von unendlich vielen …

Geburt und Tod und die Strecke dazwischen – ist nur eine Spanne, in der etwas geschieht. Es ist nicht die einzige Spanne, in der etwas geschieht, denn der Blick selbst schaut immer. Die Blicke im Blick verlöschen und entflammen, wie Lichter in der Großstadt. Sie gehen an. Sie gehen aus. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Doch das Sehen selbst vergeht nie. Weil es nie begonnen hat. Es war schon immer da, weil es nichts anderes außer ihm selbst gibt. Es gibt nur Sehen. Und in diesem sehenden Blick, zeigen sich sehende Blicke, die Dinge sehen, die zu ihrer Perspektive passen.

Die Bewegungen hören nie auf, auch wenn sie scheinbar Zeitabschnitte haben. Deshalb ist auch das Leben nur ein Zeitabschnitt von vielen Möglichkeiten etwas wahrzunehmen. Denn das Leben, Dein Leben, taucht in der Wahrnehmung auf. Im Sehen selbst, das durch Deine Augen blickt. Du siehst Dein Leben und Du wirst gesehen vom Sehen, das sich
selbst betrachtet.

Ein Blick im Blick im Blick im Blick …

Das Leben ist nur eine Station in der Gesamtbewegung der Wahrnehmung. Es gibt verschiedene Arten der Wahrnehmung. Auch außerhalb dieses Lebens. Außerhalb dieser Art der Wahrnehmung. Und auch das ist völlig natürlich, weil es nur die Natur der Natur gibt.

Wir geben diesem Leben und damit dieser Art der Wahrnehmung eine extreme Bedeutung, weil die Bedeutung selbst der Klebstoff zwischen dem Sehen und dieser Form der Wahrnehmung ist, die wir lebendig nennen.

Und genaugenommen tun wir das nicht. Das ist so „eingerichtet“. Dieses Leben ist die Information, die gerade jetzt abgenommen wird. Von wem auch immer. Von dieser Perspektive, mit diesem Namen, der einfach nur hier auftaucht. Wir können dieses Bild niemals verlassen. Selbst nach dem Tod nicht.

Pures Leben

Denn erst nach dem letzten Augenblick dessen, was wir Leben nennen, erwachen wir zu dem, was Leben ist: Pures Sein. Reine, strahlende Anwesenheit. Die Losgelöstheit von Allem, was uns in der lebendigen Perspektive so fest im Griff, so eingenommen hat, so vereinnahmt.

Nach dem letzten Augenblick dessen, was wir Leben nennen, erwachen wir endgültig zu uns selbst als Vollkommenheit, in die wir ganz sanft hineinexplodieren, um ganz langsam, wie ein Fluss mit dem Meer, mit dem Ort zuverschmelzen, in dem kein einziger Gedanke mehr existiert, der uns scheinbar von der Heiligkeit des wahren Lebens trennt.

Wer ist der Sehende, was ist das, was er sieht, und was ist Sehen überhaupt? All das wird uns endgültig nach dem letzten Augenblick dieses Lebens, als Geschenk, offenbart.

 

 

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