Das Unbekannte - anhören

von Nicole Paskow

Das Unbekannte: Ein Tor zur Gegenwärtigkeit

Wir Menschen verbringen den Großteil unseres Lebens in einem Zustand, den wir als Normalbewusstsein kennen. In diesem Zustand scheint unser Geist in den Grenzen der materiellen Welt gefangen zu sein. Unsere Gedanken pendeln unaufhörlich zwischen den Erfahrungen der Vergangenheit und den Vorstellungen von der Zukunft hin und her. Wir schmieden Pläne, treffen Entscheidungen und kreieren eine Zukunft, die oft nur eine Verlängerung des Bekannten ist. Doch in all diesem Denken übersehen wir das Kostbarste, das es gibt: den gegenwärtigen Moment.

Dieser Moment, der einzige, der wirklich existiert, ist das Portal zum Unbekannten. Wenn wir mit all unserer Aufmerksamkeit und allen Sinnen im Hier und Jetzt ankommen, beginnt etwas Magisches zu geschehen. Die Grenzen, die uns sonst trennen – von anderen, von der Natur, ja sogar von uns selbst – beginnen sich aufzulösen. Wir erleben eine tiefe Verbundenheit mit allem, was ist. In diesem Zustand gibt es keine Fragen, keine Zweifel, keine Sorgen um den nächsten Moment, denn er entsteht aus dem Jetzt heraus, in einer Art natürlicher, müheloser Entfaltung. Wie ein Springbrunnen, dessen Fontäne mit all ihrer mächtigen Pracht aus einer einzigen Öffnung emporstrebt, um sich unaufhörlich zu ergießen.

Das Leben im Unbekannten bedeutet, frei von der Last vergangener Erfahrungen und zukünftiger Erwartungen zu sein. Es bedeutet, in die Zeit hinein zu leben, ohne an ihr festzuhalten, ohne den Drang, sie zu kontrollieren. Es ist ein Sein, das sich jeder Festlegung entzieht, das nichts ansammelt, was uns beschwert. Wir erleben die scheinbare Abfolge von Momenten in voller Gegenwärtigkeit, als Teil eines ewigen Flusses, der keine Grenzen kennt.

Das Hiersein: Der Schlüssel zur Verbundenheit mit dem Unbekannten

Aber wie gelangen wir in dieses tiefe Hiersein? Was braucht es, um im Unbekannten zu leben? Es braucht eine fundamentale Erkenntnis: Das Leben entsteht nicht aus der Materie. Die Materie entsteht aus dem Geist.

Stell Dir ein Gedankenexperiment vor: Entferne in Deinem Bewusstsein alles Sichtbare, alles Materielle – Menschen, Gebäude, Landschaften, Tiere, die Erde, den Mond, die Planeten, die Sterne. Was bleibt übrig? Es ist ein unendlicher, schwarzer Raum, eine tiefe, ewige Leere, die alles durchdringt. Diese Leere ist nicht Abwesenheit, sondern die Grundlage allen Seins. Sie ist die Quelle, aus der alles entspringt, was wir kennen. Wir können sie nicht mit unseren Sinnen erfassen, doch unser Bewusstsein kann sich mit ihr verbinden, weil diese Leere Bewusstsein ist: Wir selbst sind Ausdruck dieser fruchtbaren Leere. Alles, was wir sind, erscheint in ihr und besteht aus ihr. Deshalb sind wir niemals von ihr getrennt.

Wenn diese tiefe Erkenntnis unser Bewusstsein durchdringt, verändert sich unsere Beziehung zu uns selbst und zur Welt radikal. Wir begreifen, dass alles, was wir erleben, aus uns selbst entsteht und gleichzeitig von uns wahrgenommen wird. Diese Erkenntnis löst die Angst auf, denn Angst ist ein Produkt der wahrgenommenen Trennung – einer Trennung zwischen „Ich“ und „Welt“. Wenn diese Trennung verschwindet, verschwindet auch die Angst, die sie erzeugt. Dann erkennen wir: Nicht das kleine Ich, das sich getrennt fühlt, kreiert unser Leben. Das Leben kreiert sich durch uns und lässt uns genau so viel Wahrheit erleben, wie wir in der Lage sind zu erfahren. Lässt uns genau so viel Glück empfinden, wie wir bereit sind zu erleben, lässt uns genau so viel Leid spüren, wie wir bereit sind zu ertragen.

Die Leere als Ursprung: Wie das Immaterielle das Materielle formt

Unser kleines Ich, das sich nach Wahrheit sehnt, war niemals von ihr getrennt. Es ist nur so, als ob ein Schleier darüber liegt. Und das Verrückte ist: Wenn wir glauben, dass wir diesen Schleier heben können, können wir es auch. Wenn wir glauben, dass es uns verwehrt ist, diesen Schleier zu lüften, ist es das auch. Der Zugang zu unserer Wahrheit ergibt sich durch die Gegenwärtigkeit unserer Aufmerksamkeit. Sie verkörpert das Bewusstsein in Bewegung. Doch sobald sich unsere Aufmerksamkeit in Gedanken, Problemen oder äußeren Umständen verstrickt, betreten wir eine verengte Sichtweise, die uns in unserer wahren Natur limitiert. Dann halten wir uns für Menschen, die den Umständen ausgeliefert sind und um ihr Glück kämpfen müssen.

Es ist die Gegenwärtigkeit, die uns aus dieser Verengung befreit. Sie erinnert uns daran, wo unser Ursprung liegt, und in ihrer Klarheit lösen sich alle Fragen auf. Diese Gegenwärtigkeit ist leicht, frei und ungebunden – sie haftet nicht an Menschen, Situationen, Ereignissen, Gedanken oder Gefühlen. Sie spürt sich selbst. Das reicht für alles und alle.

Heiliger Zweifel: Weg aus der Unbewusstheit des Leidens

Doch gerade, weil sie so leicht und flüchtig ist, entzieht sie sich unserem bewussten Zugriff. Sie ist wie ein Traum, unfassbar und doch zutiefst real. Jeder Mensch kann sie erfahren, der sich in die Stille versenkt und sich bewusst mit dem unendlichen Raum, der alles durchdringt, verbindet. Gegenwärtigkeit ist das Unbekannte. Aus diesem ewigen Nichtwissen heraus entfaltet sich alles, was wir erleben.

Je direkter wir mit dieser Gegenwärtigkeit verbunden sind, desto stimmiger erscheint das Leben in unserer Wahrnehmung. Es erfordert Mut, das Alte, Bekannte und sich Wiederholende als Quelle von Leid zu durchschauen. Denn wenn wir bewusst leiden, zeigt sich die Lösung von selbst am Horizont. Wir müssen nichts tun, außer uns tief in uns selbst hineinzufühlen und zu erkennen, dass das, was wir bisher als unser Leben betrachtet haben, nicht die volle Wahrheit über uns selbst ist. Dieser heilige Zweifel führt uns ins Einssein zurück.

Die bewusste Gegenwärtigkeit ist der einzige Ort wahrer Freude, Leichtigkeit und echten Glücks – ein Glück, das kein Gegenteil kennt. Es ist das Unbekannte, das seinen Schrecken verliert, sobald wir uns ihm hingeben und aufhören, uns an uns selbst festzuhalten. Wenn wir dies erkennen, dann leben wir im Einklang mit dem Fluss des Lebens, in einer tiefen, mühelosen und lebendigen Präsenz.

 

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