Das Unbekannte - anhören
Das Unbekannte: Ein Tor zur Gegenwärtigkeit
Wir Menschen verbringen den Großteil unseres Lebens in einem Zustand, den wir als Normalbewusstsein kennen. In diesem Zustand scheint unser Geist in den Grenzen der materiellen Welt gefangen zu sein. Unsere Gedanken pendeln unaufhörlich zwischen den Erfahrungen der Vergangenheit und den Vorstellungen von der Zukunft hin und her. Wir schmieden Pläne, treffen Entscheidungen und kreieren eine Zukunft, die oft nur eine Verlängerung des Bekannten ist. Doch in all diesem Denken übersehen wir das Kostbarste, das es gibt: den gegenwärtigen Moment.
Dieser Moment, der einzige, der wirklich existiert, ist das Portal zum Unbekannten. Wenn wir mit all unserer Aufmerksamkeit und allen Sinnen im Hier und Jetzt ankommen, beginnt etwas Magisches zu geschehen. Die Grenzen, die uns sonst trennen – von anderen, von der Natur, ja sogar von uns selbst – beginnen sich aufzulösen. Wir erleben eine tiefe Verbundenheit mit allem, was ist. In diesem Zustand gibt es keine Fragen, keine Zweifel, keine Sorgen um den nächsten Moment, denn er entsteht aus dem Jetzt heraus, in einer Art natürlicher, müheloser Entfaltung. Wie ein Springbrunnen, dessen Fontäne mit all ihrer mächtigen Pracht aus einer einzigen Öffnung emporstrebt, um sich unaufhörlich zu ergießen.
Das Leben im Unbekannten bedeutet, frei von der Last vergangener Erfahrungen und zukünftiger Erwartungen zu sein. Es bedeutet, in die Zeit hinein zu leben, ohne an ihr festzuhalten, ohne den Drang, sie zu kontrollieren. Es ist ein Sein, das sich jeder Festlegung entzieht, das nichts ansammelt, was uns beschwert. Wir erleben die scheinbare Abfolge von Momenten in voller Gegenwärtigkeit, als Teil eines ewigen Flusses, der keine Grenzen kennt.
Das Hiersein: Der Schlüssel zur Verbundenheit mit dem Unbekannten
Aber wie gelangen wir in dieses tiefe Hiersein? Was braucht es, um im Unbekannten zu leben? Es braucht eine fundamentale Erkenntnis: Das Leben entsteht nicht aus der Materie. Die Materie entsteht aus dem Geist.
Stell Dir ein Gedankenexperiment vor: Entferne in Deinem Bewusstsein alles Sichtbare, alles Materielle – Menschen, Gebäude, Landschaften, Tiere, die Erde, den Mond, die Planeten, die Sterne. Was bleibt übrig? Es ist ein unendlicher, schwarzer Raum, eine tiefe, ewige Leere, die alles durchdringt. Diese Leere ist nicht Abwesenheit, sondern die Grundlage allen Seins. Sie ist die Quelle, aus der alles entspringt, was wir kennen. Wir können sie nicht mit unseren Sinnen erfassen, doch unser Bewusstsein kann sich mit ihr verbinden, weil diese Leere Bewusstsein ist: Wir selbst sind Ausdruck dieser fruchtbaren Leere. Alles, was wir sind, erscheint in ihr und besteht aus ihr. Deshalb sind wir niemals von ihr getrennt.
Wenn diese tiefe Erkenntnis unser Bewusstsein durchdringt, verändert sich unsere Beziehung zu uns selbst und zur Welt radikal. Wir begreifen, dass alles, was wir erleben, aus uns selbst entsteht und gleichzeitig von uns wahrgenommen wird. Diese Erkenntnis löst die Angst auf, denn Angst ist ein Produkt der wahrgenommenen Trennung – einer Trennung zwischen „Ich“ und „Welt“. Wenn diese Trennung verschwindet, verschwindet auch die Angst, die sie erzeugt. Dann erkennen wir: Nicht das kleine Ich, das sich getrennt fühlt, kreiert unser Leben. Das Leben kreiert sich durch uns und lässt uns genau so viel Wahrheit erleben, wie wir in der Lage sind zu erfahren. Lässt uns genau so viel Glück empfinden, wie wir bereit sind zu erleben, lässt uns genau so viel Leid spüren, wie wir bereit sind zu ertragen.
Die Leere als Ursprung: Wie das Immaterielle das Materielle formt
Unser kleines Ich, das sich nach Wahrheit sehnt, war niemals von ihr getrennt. Es ist nur so, als ob ein Schleier darüber liegt. Und das Verrückte ist: Wenn wir glauben, dass wir diesen Schleier heben können, können wir es auch. Wenn wir glauben, dass es uns verwehrt ist, diesen Schleier zu lüften, ist es das auch. Der Zugang zu unserer Wahrheit ergibt sich durch die Gegenwärtigkeit unserer Aufmerksamkeit. Sie verkörpert das Bewusstsein in Bewegung. Doch sobald sich unsere Aufmerksamkeit in Gedanken, Problemen oder äußeren Umständen verstrickt, betreten wir eine verengte Sichtweise, die uns in unserer wahren Natur limitiert. Dann halten wir uns für Menschen, die den Umständen ausgeliefert sind und um ihr Glück kämpfen müssen.
Es ist die Gegenwärtigkeit, die uns aus dieser Verengung befreit. Sie erinnert uns daran, wo unser Ursprung liegt, und in ihrer Klarheit lösen sich alle Fragen auf. Diese Gegenwärtigkeit ist leicht, frei und ungebunden – sie haftet nicht an Menschen, Situationen, Ereignissen, Gedanken oder Gefühlen. Sie spürt sich selbst. Das reicht für alles und alle.
Heiliger Zweifel: Weg aus der Unbewusstheit des Leidens
Doch gerade, weil sie so leicht und flüchtig ist, entzieht sie sich unserem bewussten Zugriff. Sie ist wie ein Traum, unfassbar und doch zutiefst real. Jeder Mensch kann sie erfahren, der sich in die Stille versenkt und sich bewusst mit dem unendlichen Raum, der alles durchdringt, verbindet. Gegenwärtigkeit ist das Unbekannte. Aus diesem ewigen Nichtwissen heraus entfaltet sich alles, was wir erleben.
Je direkter wir mit dieser Gegenwärtigkeit verbunden sind, desto stimmiger erscheint das Leben in unserer Wahrnehmung. Es erfordert Mut, das Alte, Bekannte und sich Wiederholende als Quelle von Leid zu durchschauen. Denn wenn wir bewusst leiden, zeigt sich die Lösung von selbst am Horizont. Wir müssen nichts tun, außer uns tief in uns selbst hineinzufühlen und zu erkennen, dass das, was wir bisher als unser Leben betrachtet haben, nicht die volle Wahrheit über uns selbst ist. Dieser heilige Zweifel führt uns ins Einssein zurück.
Die bewusste Gegenwärtigkeit ist der einzige Ort wahrer Freude, Leichtigkeit und echten Glücks – ein Glück, das kein Gegenteil kennt. Es ist das Unbekannte, das seinen Schrecken verliert, sobald wir uns ihm hingeben und aufhören, uns an uns selbst festzuhalten. Wenn wir dies erkennen, dann leben wir im Einklang mit dem Fluss des Lebens, in einer tiefen, mühelosen und lebendigen Präsenz.
Liebe Nicole, …
Vielen Dank für das hineingleiten / hineinfallen in diesen Moment…
In stiller Freude, …alles Liebe,… Antje
Liebe Nicole,
so zeigt sich was es bedeutet, IN LIEBE ZU SEIN.
Wunderbar in Worte gefasst.
Liebe Nicole,
ich mag Deine Beschreibung sehr.
Nur würde ich den gegenwärtigen Moment nicht als „das Unbekannte“ bezeichnen.
Das Gegenwärtige ist mir auf einer tiefen inneren Ebene sehr vertraut, es ist jedoch verbunden mit Nicht-Wissen und Nicht-Kategorisieren und Nicht- Analysieren, etwas, was auch ich im Alltag automatisch tue, wenn ich nicht präsent und achtsam bin.
Danke für Deine Worte. Das Bild mit dem Springbrunnen gefällt mir gut.
😍
Sabine
Deine Worte tun so gut und doch ist es bei mir..
Liebe Nicole, Du erwähnst sehr oft, man soll sich selbst einfach mal in Ruhe lassen…Leben passiert einfach, nichts von sich wollen. Das habe ich ausprobiert. Zuerst ist es sehr angenehm, doch nach kurzer Zeit merke ich wie sich die alten bekannten Konditionierungen breit machen, wenn ich alles einfach geschehen lasse. Ich habe mir angewöhnt, so oft ich mich erinnere in meinem Tag, z.Bsp. meinen Atem zu spüren, allein dass ist ja auch ein eingreifen, um zu. Oder ich erinnere mich immer wieder an bestimmte
„Kraftwörter und Sätze“, die mich beflügeln. Ist dies nicht alles ein eingreifen? Ohne dies tümpel ich so vor mich hin, mit diesen liebgewonnenen „Tools“ erhebt sich meine Lebensfreude…Lieben Dank für Deine Antwort, Lara
Liebe Lara, an sich kann ich hier nur mit Karl Renz antworten: „Du kannst Dich nicht entspannen! Also entspann Dich!“ In diesem Satz liegt ein Paradoxon. Wenn man es erfasst, tritt sofort Entspannung ein :-D.
Das Ich, das etwas machen will ist ja genau das, was im Weg ist. Und das Ich, das etwas machen, verändern, lenken will wird immer wieder auf sich selbst treffen, egal, was es tut. Und damit trifft es immer wieder auf den Widerstand gegen das, was ist. Wir können aktiv nichts tun, um … zu. Das hilft nur zeitweise, dann fallen wir automatisch wieder in alte Muster. Das können wir dann so lange zu ändern versuchen, bis wir einsehen, dass wir mit dem Kopf gegen die Wand laufen und bis wir fühlen, wie weh das tut. Wenn die Einsicht groß genug ist, fällt der Widerstand von selbst in sich zusammen und Du bist einfach nur noch das, was Du bist. Mit allem Drum und Dran. Dann fällt die Bewertung dessen weg, was Du als Dich selbst erlebst. Das ist Entspannung. Geistige Entspannung, die kein Problem mehr mit ihrem „Ich“ hat, das halt immer strampeln muss. Es kann nicht anders. Wir leben mit uns als Hampelmann/Hampelfrau. Das ganze spielt keine Rolle mehr. Aber solange wir strampeln und glauben, es würde etwas helfen, so lange müssen wir das auch tun. Da gibt es auch keinen Ausweg … Niemand weiß, wodurch Einsicht wirklich geschieht. Das kannst Du nur für Dich selbst herausfinden … 🙂 LG N
Liebe Nicole, herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort. Tatsächlich erscheint es oft so, dass gewisse Erkenntnisse zu einem „besseren“ Leben führen, zu einem Leben mit mehr Leichtigkeit, weniger Ängsten u.s.w. Auch wenn unterschiedliche Menschen über ihre Selbsterforschungen sprechen, der eine hat für sich den Beweis dass er einen freien Willen hat, der Nächste ist sich sicher dass alles determiniert ist. So ja auch der Karl. Doch wie kann er sich da sicher sein? Vielleicht stimmt ja auch beides…Ich habe den Eindruck, dass wir alle keine Ahnung haben, wie es wirklich ist. Und das ist auch völlig ok. In diesem göttlichen Spiel gibt es keine Regel, alles ist möglich. Denn wenn alle Menschen, die diesen Fragen nachgehen, unterschiedliche Erfahrungen machen, bleibt es bei Annahmen (Glaubereien). Liebe Grüße, Lara
Ja, Lara, ich verstehe Deine Überlegungen. Im Grunde, gibt es so viel Antworten, wie es Menschen gibt. Deshalb ist es ja so wichtig, es
für sich selbst herauszufinden. Wir haben alle unterschiedliche Zugänge zu dem, was wir sind. Am Ende treffen sich alle an einem Ort.
Und an diesem Ort verschwinden „alle“ und werden zu diesem Augenblick, der auch vorher schon da war. Du kannst niemandem glauben.
Du kannst nur Deinen Weg gehen und die Antworten auf Deine Fragen in Dir nachklingen lassen. Dann werden Antworten kommen, die ganz allein
für Dich bestimmt sind. Alles, was Du dafür brauchst, ist die Möglichkeit Dir vollkommen zu vertrauen. Das geschieht durch Einsicht.
Und durch Fühlen. Du bist eine einzigartige Komposition Mensch, unwiederholbar und unvergleichbar. Diese Tatsache allein kann Dich in die
Lage versetzen, nur Deiner eigenen Nase zu folgen. Egal wie viele Irrtümer Du ansammeln wirst, wenn Dein größter Wunsch „Wahrheit“ ist,
dann wirst Du die Antwort erhalten und mit ihr die Unterscheidungskraft, die Dir hilft die Antworten in Dir zu sortieren.
Dein Leben ist wie ein Buch. Es ist schon geschrieben (determiniert). Aber trotzdem musst Du es Seite für Seite lesen, um die Geschichte
zu erfahren. (freier Wille). Beides stimmt.:-)
Wie schön, ich danke Dir für Deine Worte, sehr sehr berührend. Es fühlt sich wahrhaftig an für mich. HERZ-liche Grüße, Lara