Das Einssein von Bewusstsein und Erfahrung- anhören
Als Menschen neigen wir dazu, uns mit dem zu identifizieren, was um uns herum geschieht. Unsere Gedanken, Gefühle, und die Rollen, die wir im Alltag einnehmen, scheinen uns zu definieren. Wir glauben oft, dass wir das sind, was wir erleben – ob es die Freude über einen Erfolg oder der Schmerz über einen Misserfolg ist. Diese Vorstellung ist tief in uns verwurzelt. Doch es gibt eine tiefere Wahrheit über uns selbst, die oft übersehen wird: Wir sind nicht das, was wir erleben, sondern das, was diese Erlebnisse überhaupt erst möglich macht – unser Bewusstsein.
Bewusstsein als Bildschirm
Stell Dir Dein Bewusstsein wie einen Bildschirm vor, auf dem verschiedene Bilder erscheinen. Diese Bilder sind Deine Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Pläne. Sie tauchen auf, verweilen eine Weile und verschwinden wieder. Einige kommen oft zurück, andere nur einmal. Doch egal, was gerade auf diesem Bildschirm gezeigt wird, der Bildschirm selbst bleibt immer unverändert. Er nimmt alles wahr, ohne von den Bildern beeinflusst zu werden. Der Bildschirm symbolisiert das Bewusstsein – die ruhige, stabile Präsenz, die alles beobachtet. Der „Hinitergrund“, der selbst nie in Erscheinung tritt.
Wir verwechseln uns mit den Bildern
Viele von uns sitzen jedoch einem tief unbewussten Trugschluss auf: Wir glauben, dass wir die „Bilder“ sind, also unsere Gedanken und Gefühle. Wenn uns positive Dinge widerfahren, fühlen wir uns gut. Wenn negative Erlebnisse auftauchen, leiden wir. Wir sind in einer ständigen Abhängigkeit von dem, was auf dem Bildschirm erscheint. Das führt zu einem unruhigen Leben, denn wir reagieren ständig auf das, was uns im Moment beschäftigt. Doch in Wirklichkeit sind wir nicht diese vorübergehenden Bilder – wir sind der Bildschirm, der sie beobachtet.
Abstand zu den Erfahrungen gewinnen
Wenn wir uns bewusst machen, dass wir nicht unsere Gedanken und Gefühle sind, können wir eine gewisse Distanz zu unseren Erfahrungen entwickeln. Das bedeutet nicht, dass wir uns von unseren Erlebnissen abkoppeln sollen. Vielmehr können wir lernen, die Gedanken und Gefühle, die auftauchen, zu beobachten, ohne uns von ihnen mitreißen zu lassen. Das gibt uns die Freiheit, nicht in den Strudel von emotionalen Reaktionen hineingezogen zu werden. Wir beginnen zu verstehen, dass wir nicht das sind, was kommt und geht, sondern der ruhige Hintergrund, der alles beobachtet.
Der scheinbare Unterschied zwischen Beobachter und Erlebtem
Zunächst kann es hilfreich sein, den Unterschied zwischen dem Bewusstsein und seinen Inhalten zu erkennen. Indem wir uns bewusst machen, dass wir nicht die flüchtigen Gedanken und Gefühle sind, sondern das Bewusstsein, das diese wahrnimmt, gewinnen wir Klarheit. Doch je tiefer wir in diese Erkenntnis eintauchen, desto deutlicher wird, dass dieser Unterschied nur eine Hilfskonstruktion ist. Denn am Ende gibt es keinen wirklichen Unterschied zwischen dem Bildschirm (dem Bewusstsein) und den Bildern (den Erfahrungen). Doch wir müssen den Weg der Unterscheidung zu Ende gehen. Nicht nur geistig, sondern auf allen Ebenen unseres Daseins. Die Erkenntnis muss zur Erfahrung aller Sinne werden, anstatt nur im (scheinbaren) Verstehen zu verbleiben.
Bewusstsein und Erfahrungen sind eins
Wenn wir schließlich einsehen, dass das Bewusstsein und seine Inhalte untrennbar miteinander verbunden sind, erkennen wir, dass alles, was wir erleben, ein Ausdruck unseres Bewusstseins ist. Die Gedanken, Gefühle und Erfahrungen, die wir haben, sind nicht von uns getrennt. In dieser Erkenntnis wird deutlich, dass wir sowohl der Beobachter als auch das Beobachtete sind. Der Bildschirm und die Bilder sind nicht wirklich getrennt – sie sind Teile desselben Ganzen. Wir sind nicht nur der ruhige Beobachter, sondern auch alles, was auf dem Bildschirm unseres Bewusstseins erscheint.
Der praktische Nutzen im Alltag
Was bedeutet diese Erkenntnis für unser tägliches Leben? Sie zeigt uns, dass wir aufhören können, uns so sehr von unseren Gedanken und Gefühlen bestimmen zu lassen. Wenn wir das nächste Mal negative Gedanken haben – zum Beispiel Sorgen oder Ängste –, können wir uns daran erinnern, dass sie nur vorübergehende Erscheinungen auf dem Bildschirm unseres Bewusstseins sind. Sie kommen und gehen und haben nicht die massive Bedeutung, die sie scheinbar haben, solange wir mit ihnen identifiziert sind. Unser wahres Selbst, das Bewusstsein, bleibt davon unberührt. Diese Erkenntnis gibt uns die Kraft, ruhiger und gelassener mit schwierigen Situationen umzugehen. Wir sind uns unseres Bewusstseins bewusst und somit werden wir nicht mehr von Erfahrungen dominiert.
Akzeptanz aller Erfahrungen
Gleichzeitig können wir lernen, alles, was wir erleben, zu akzeptieren. Denn wenn wir erkennen, dass es keinen Unterschied zwischen dem Bewusstsein und seinen Inhalten gibt, verstehen wir, dass jede Erfahrung – ob positiv oder negativ – ein Ausdruck unserer eigenen Natur ist. Wir müssen nichts ablehnen oder unterdrücken. Alles, was erscheint, darf da sein, weil untrennbar Teil des Ganzen ist. Diese Akzeptanz bringt eine tiefe innere Ruhe mit sich, da wir uns nicht länger gegen unsere eigenen Erfahrungen wehren müssen, indem wir sie zum Besseren verändern wollen, wenn sie uns nicht gefallen und uns damit in der beständigen Trennung zu uns selbst aufhalten.
Die letzte Erkenntnis: Alles ist eins
Am Ende gibt es keinen wirklichen Unterschied zwischen dem, was wir erleben, und dem, was wir sind. Bewusstsein und seine Inhalte sind eins. Doch um zu dieser tiefen Wahrheit zu gelangen, müssen wir zuerst den Unterschied erkennen. Erst wenn wir verstanden haben, dass wir nicht unsere Gedanken und Gefühle sind, können wir die größere Wahrheit erkennen, denn sie offenbart sich von selbst: dass wir sowohl das Bewusstsein als auch der Inhalt des Bewusstseins sind. Diese Erkenntnis bringt uns die wahre Freiheit, denn es bedeutet, dass es keine Trennung gibt – alles ist eins.
In der Stille des Bewusstseins erkennen wir, dass wir sowohl die Flamme als auch das Licht sind.
Ein wunderschöner Beitrag liebe Nicole. Du findest Worte für das, was mich bewegt und was viele von uns fühlen. Ich lasse Deine Worte in meine Erfahrungen fließen. Meine Wahrnehmung vertieft sich, es tauchen in mir Fragen auf:
Ist in der „Akzeptanz aller Erfahrungen“ nicht immer noch der Akzeptierende da, der entscheiden kann: Lasse ich mich jetzt mitreißen von den Gefühlen und den Gedankenschleifen? Oder entscheide ich mich jetzt dazu präsent zu bleiben und den Gedanken und Gefühlen keine Energie zu geben und diese verschwinden zu lassen. Bin ich immer noch der Entscheidende? Wer ist in diesem Fall der Entscheidende?
Ist es nicht so, dass alles, was erscheint bereits angenommen ist? Einfach weil es jetzt da ist und deshalb unwiderlegbar wahr ist.
Jeff Foster sagt dazu:
…“Wenn du leiden willst, dann vergleiche den Moment mit deiner Vorstellung wie er sein sollte.
Es geht dabei um die tiefste Annahme des Lebens, die du als Individuum nicht erreichen kannst.
Du brauchst diese tiefste Akzeptanz nicht erst zu erreichen, sie ist schon da, und was übrig bleibt ist lediglich einfach und ohne Anstrengung zu bemerken, dass sie schon geschehen ist in diesem Augenblick und in jedem Augenblick.
Wir können nur das in unserem Leben wahrnehmen und akzeptieren was bereits angenommen ist.
Was du bist, hat den gegenwärtigen Augenblick bereits angenommen, genauso wie er ist. Was du bist kann dem was gerade jetzt erscheint keinen Widerstand entgegensetzen, denn es ist alles, was jetzt erscheint.
Gedanken und Gefühle anzunehmen bedeutet, auf einfache, sanfte und mühelose Weise zu bemerken, dass diese Gedanken und Gefühle in diesem Moment bereits angenommen sind, dass sie bereits eingelassen, zugelassen wurden. Es gibt sie nämlich bereits, sie sind bereits da. Annehmen ist also keine zeitgebundene Errungenschaft, sondern eine nie endende Wirklichkeit im jetzt. Eigentlich kannst du gar nichts annehmen, denn das, was du bist, ist bereits ein Ausdruck des angenommenen Seins. Denn du bist in Wirklichkeit kein getrennter Mensch, du bist ein müheloses Ja zu diesem Augenblick.
Beim Annehmen geht es darum, dich selbst als den offenen Raum der Annahme anzuerkennen, als den Ozean, der all seine Wellen schon angenommen hat, bedingungslos, hier und jetzt einschließlich all der Wellen der Nichtakzeptanz.
Selbst deine Nichtannahme des Schmerzes ist in dem, was du bist, zugelassen.
Es geht dabei nicht um dich, nicht um den getrennten Menschen, der entspannt und friedvoll sein könnte oder der versucht, es zu sein, es geht um ein tieferes Gefühl von Entspannung, dass sich einstellt, wenn man weiß, dass jeder Gedanke jede Empfindung jedes Gefühl einschließlich aller Gefühle von Schmerz in dem Raum in dem du dich befindest – in dem Raum der du bist – bereits angenommen sind.
Wir erschöpfen uns darin, zu versuchen zu lieben, zu versuchen anzunehmen, zu versuchen uns zu entspannen, zu versuchen ohne Beurteilung zu sein, nicht identifiziert – aber wenn wir erkennen, wer wir wirklich sind, dann merken wir, dass diese Eigenschaften alle nicht das Ergebnis einer Anstrengung eines getrennten Wesens sind, sondern dass sie auf ganz natürliche Weise in dem vorhanden waren was wir waren, bevor wir uns als ein getrenntes Wesen wahrgenommen haben.
In userem tiefsten Wesen sind wir auf ganz natürliche Weise liebend, annehmend, zutiefst entspannt, und immer im Frieden, niemals fixiert auf irgendeine Form, und das was wir sind, hat niemals irgendetwas suchen müssen.“…
Ich könnte jetzt denken und sagen, das sind alles Gedankenspiele, die mich vom einfachen Sehen und vom einfachen Leben abhalten. Es ist aber für mich so, dass ich diese Gedankenspiele getrost vergessen kann und wenn ich dann im Leben mit Herausforderungen konfrontiert werde, dann ergeben sich Lösungen und Wege von selbst entsprechend meinen Einsichten.
Danke liebe Nicole für den wunderbaren Text, und Danke, Johannes, für die wunderbare Ergänzung von Jeff Foster … für mich zeigt es sich so: alles ist schon angenommen als das, was im Bewusstsein erscheint … und alles erscheint als ein unpersönliches Geschehen … es wird entschieden aus dem Größeren Ganzen heraus … und doch, gleichzeitig, wenn ich als wahrnehmende Bewusstheit mitbekomme, wo meine Aufmerksamkeit grad ist, und welcher Erfahrung ich grad Bedeutung schenke, womit ich mich grad identifiziere, wogegen ich Widerstand habe, … dann habe ich in diesem klaren Sehen eine scheinbare Wahl, mich zu entspannen …
es ist so wunderbar, dass wir uns begleiten und austauschen können.
Wir haben im Deutschen leider nur die Worte Akzeptanz, Hingabe und Loslassen. Hier ist immer noch ein Entscheidender da, der sich mit dem Thema, mit der eigenen Belastung, dem eigenen Schmerz befassen muss. Schließlich kann ich mich der Angst oder dem Schmerz hingeben. Schließlich kann ich mich selbst ganz hingeben, ich kann loslassen – einfach weil es ist, so ist wie es ist.
Das englische Wort „surrender“ beschreibt dies noch wesentlich umfassender. Surrender ist einfach eine ganz tiefe Entspannung, in der ich selbst gar nicht im Mittelpunkt stehe.
Surrender ist einfach eine ganz tiefe Entspannung, mitten im Geschehen, in der ich selbst gar nicht im Mittelpunkt stehe.
Surrender passiert einfach – wenn der Schmerz unerträglich wird, oder wenn ich selbst gar nicht mehr wahrnembar bin.
Vielen Dank Johannes und Gerhard für Eure Beiträge! 🙂 LG Nicole