Sich zu sich selbst umdrehen- anhören
Die meisten Menschen, die den Weg der Spiritualität beschreiten, wollen tief in ihrem Inneren erreichen, dass sie sich selbst nicht mehr als problematisch empfinden. Für die meisten sind spirituelle Perspektiven und Prinzipien Wege, um vor ihren schwierigen Gefühlen zu flüchten. Immer geht es um die Auflösung des Egos, das dem inneren Frieden ständig im Weg steht. Die Hoffnung ist, einen dauerhaften Zustand der inneren Ruhe und Losgelöstheit zu etablieren, eben so, wie sich die meisten die Erleuchtung vorstellen.
Sie schauen sich die Gurus und spirituellen Lehrer an, die es „geschafft“ haben oder denen „es“ passiert ist, und erkennen in ihnen das beständige Leuchten der Liebe und den friedlichen Blick der inneren Stille. Und das wollen sie auch „haben“.
Ich wollte mich auch von meinen starken Emotionen befreien, die mich oft wie ein Blatt im Wind energetisch und auch praktisch hin- und hergeworfen haben. Mein Geist wollte alles durchdringen (und hat es auch), um vorzudringen zur ewigen Wahrheit. Und das hat er auch. Ich fühlte mich immer unvollkommen und nicht gut genug auf allen Ebenen des Lebens und strebte, wie alle, die mir begegnet sind, danach, eins zu werden und mich endlich geerdet, beruhigt und in Frieden mit mir und der Welt zu fühlen. Und das für immer.
Von einer Grenze zur nächsten
Aber früher oder später landete ich wieder vor einer inneren Grenze, die es erneut zu überwinden galt. Ich konnte meine Gefühle nicht loswerden und dachte, ich mache etwas falsch, und suchte weiter und weiter. In Büchern, in Gesprächen, in Videos. Doch das Leben vor meiner Nase machte, was es wollte, mit mir.
Ich sehnte mich nach Verankerung, nach einem Halt im scheinbar erlösten Lamento von „Es ist, wie es ist“, „Alles geschieht, wie es geschieht“, „Es gibt niemanden, dem es geschieht“ … Doch es blieb alles auf der mentalen Ebene hängen. Die „Wirklichkeit“ sah anders aus. Alles, was geschah, geschah „mir“, und ich hatte sehr oft etwas gegen das Geschehen und war ganz bestimmt nicht „niemand“.
Und irgendwann war es genug.
Warum auch immer, bahnte sich ein Erkennen durch alles hindurch, worum ich mich so sehr „bemühte“. Ich sah immer auf all die anderen, die schon so weit waren, die „das Geheimnis“ kannten, die erreicht hatten, was ich wollte. Und ich sah immer von dem ab, was direkt anwesend war. Nämlich die naheste Wahrnehmung, die es gibt: Mich selbst.
Mit dem Kopf durch die Wand
Hier wollte etwas immer weg von dem, wie es empfunden wurde. Weil es woanders immer besser war. Nur nicht dort, wo ich war. Ich verglich mich, ich war neidisch, ich wollte auch …
So sehr.
Irgendwann tat der Kopf wirklich weh, mit dem ich immer durch die Wand wollte. Und ich bemerkte zum ersten Mal die Wand, gegen die ich anlief. Weil mein Kopf weh tat.
Ich stellte fest, dass alles, was einem selbstverständlich ist, nicht zählt. Ich war selbstverständlich für mich, denn ich war ja ich! Schon immer! Wenn man ist, was man ist, sieht man es nicht. Man kann sich erst sehen, wenn man einen Abstand einnimmt. Wenn Du mit der platten Nase vor einem Bild stehst, siehst Du das Bild nicht. Du musst Dich in einer gewissen Entfernung davor hinstellen, um es betrachten zu können.
Der Schmerz als Hinweis
Das Leben hat es so eingerichtet, dass es uns Schmerzen schickt, damit uns etwas auffällt. Der Schmerz ist dazu da, den Blick zu heben, etwas zurückzutreten, innezuhalten und zu sehen, was geschieht. Und um uns darum zu kümmern, damit es wieder „gut“ wird. Und „gut“ heißt, damit es wieder in sich einsinken kann, um einfach zu sein. Ohne große Erhebung. Gesund sind wir, wenn alles läuft und nichts den Körper daran hindert, zu tun, was er tut. Wir bemerken den Körper nicht, wenn wir gesund sind.
Erst ein Schmerz macht uns auf eine Unstimmigkeit aufmerksam. Als spirituelles Prinzip dahinter könnten wir sagen, dass das Leben selbst der Schmerz ist, der das, was dem Leben zugrunde liegt, überhaupt erst in die Lage versetzt, auf sich selbst zu treffen.
Ich erkannte also sehr schmerzhaft, dass ich MICH übersehe für einen Wunsch, der mich immer von mir wegführen würde. Immer. Das war ein echtes Erwachen. Das ging mir durch und durch und stand allem entgegen, was ich über die Auflösung des Ichs gehört und gelesen hatte.
Die Konditionierung bestätigt
Ich erkannte, und mir wurde richtig schlecht dabei, dass meine spirituelle Suche meine Konditionierung nur noch verstärkt hat. Sie war ein weiterer Ausdruck davon, mich selbst zu ignorieren, abzuwerten und mich von mir abzuspalten. Für ein angeblich „höheres Ich“, das endlich mit sich selbst in Frieden wäre. Aber wie könnte sich hier irgendein Frieden einstellen, wenn ich doch die ganze Zeit mit mir im Krieg war?
Das Ganze ist ein so perfides Spiel, dass es Dich in einer Spirale hält, die unendlich scheint: Du willst Dich loswerden und hoffst, Dich durch diese Befreiung endlich als Dein wahres Ich zu fühlen, das immer in Frieden mit sich und allem ist, weil es dann ja EINS ist. Und wenn Du Dich noch nicht so fühlst, machst Du etwas falsch, siehst etwas falsch und bist noch nicht so weit. Das hält Dich im Schuldgefühl und in der Abspaltung gefangen und, wenn Du Pech hast, bei einem „Meister“, der sein Geld mit Dir und Deiner hoffnungslosen Hoffnung verdient. (Bis es Dir weh tut und auffällt …)
Es war ein Moment, in dem all die Anstrengung von mir abfiel. Die Anstrengung, nicht ICH SELBST zu sein. Und ich fühlte etwas, das sich weich anfühlte, fließend, das mich umspülte wie ein warmer Regen, wie ein Bad in echter Wärme und Geborgenheit, als würden die harten Grenzen verschwimmen, die ich nie bemerkt hatte, die aber mein Leben bestimmten. Und ich fühlte mich gleichzeitig schwach und aufgehoben, losgelassen und weich gebettet. Und da war aber nur ich. Ganz allein nur ich selbst.
Das Weinen des Aufgebens
Es war wie eine Erlösung nach der Einsicht, dass es wirklich SO nicht geht. Stell Dir vor, Du wirst gezwungen, etwas aufzugeben, was Du wirklich nicht aufgeben willst, weil Du so sehr daran glauben willst, dass Du weitermachst und weitermachst, bis es wirklich nicht mehr geht. Dann lässt nicht DU los, sondern etwas wird losgelassen. Und Du fließt in dieses Aufgeben hinein, und es ist wie eine tiefe Umarmung, die sich unendlich mütterlich anfühlt, bedingungslos nährt und hält. Einfach so, wie Du bist.
Ich habe lange geweint, bis ich vollkommen leer war. Aber es war das Weinen des Aufgebens, das sich in Hingabe erlöst. Du gibst den Kampf hin. Du gibst ihn ab, Du lässt ihn los. Er wird losgelassen. Und alles ist gut. Übrig bleibst Du. Ganz nackt. Ganz – so. Ohne Worte, ohne Beschreibung, ohne Richtung, ohne Frage. Nur Du.
Du sinkst Dir auf den saglosen Grund. An den Ursprung Deines Wesens. Dort gibt es wirklich keine Fragen mehr. Nur noch Dein Sosein. Das ist schon das Einssein, das in der Tiefe immer ist, das sich aber bis an die Oberfläche, all die Millionen Kilometer vom Meeresboden bis an den Rand der Wellen, scheinbar verliert.
Es bedeutet nichts
Und es heißt nichts. Ich kann nichts besser als vorher. Ich bin nur eins mit mir. Und das ist etwas ganz Einfaches, ganz Unspektakuläres. Dieser Einklang ist so, wie er ist. Mehr lässt sich nicht sagen. So, wie die Rose eine Rose ist und sich nicht hinterfragt. Oder der Walnussbaum oder die Katze …
Hier bin ich. Was auch immer das bedeutet. Und ich bin so, wie ich mich erlebe. Der Widerstand dagegen ist weg und die Grenzen sind aufgelöst. Die Wolken ziehen am Himmel. Vögel kreisen. Mein Herz ist leicht oder schwer. Ich lache oder weine oder schweige. So ist es. Immer. Immer so, wie es gerade jetzt ist.
Liebe Nicole,
du findest Worte für das Unwörterbare …
das macht deine Texte so faszinierend … und berührend …
dass Augen feucht werden und Herzen lächeln.
Das konnte ich nicht immer so tief wahrnehmen, aber jetzt.
Und das ist so schön. ♥
Das freut mich, liebe Valentina, wie schön, dass Du das hier teilst. Danke. Herzlich, Nicole
Unendlich wahr und berührend. Danke…
Schön, wieder von Dir zu lesen, Natalja, und dass Dich der Text berührt hat. Herzlich, Nicole
🤍 Danke…. Sehr berührend. So wahr….
Danke Isabell, für das Dalassen Deines Gefühls … 🙂 LG Nicole
Ich finde mich in deinen Worten so wieder, daß es mir schwer fällt es zu beschreiben. Danke ❤️. So vieles wird mir dadurch so deutlich und ist eine solche Erleichterung, daß ich merke, dass ich überhaupt nichts falsch mache oder es einfach nicht kapiere und deswegen alles nicht funktioniert, nein, und daß ist so schön, ein so tolles Gefühl, was ich natürlich gleich wieder festhalten möchte 😂. Ich spühre richtig, wie wahr deine Worte sind, daß mir, während ich dieses schreibe, doch glatt die Tränen kommen, so eine Last fällt von mir. ❤️🙏🏻
Liebe Ines,
herzlichen Dank für Deine Worte. Es ist schön zu lesen, dass Du in meinen Zeilen eine solche Klarheit und Erleichterung findest. Dass dieses Gefühl auftaucht, zeigt, dass Du genau da bist, wo Du sein sollst. Manchmal führt uns das Leben zu einem Punkt, an dem wir erkennen, dass es nichts zu „kapieren“ gibt – und dass es auch nicht darum geht, etwas festzuhalten.
Diese Momente, in denen eine Last von uns abfällt, sind etwas sehr Natürliches, das immer in uns vorhanden ist. Ich freue mich, dass Du dies gerade für Dich erleben kannst.
Alles Liebe,
Nicole
liebe Nicole, am meisten berühren mich deine von dir gesprochen Worte, sie dringen so tief, deine Art alles auszudrücken ist so einmalig, dass habe ich bislang noch nicht erlebt. Ich könnte es mir den ganzen Tag anhören ☺️❤️.
Liebe Nicole, darf ich fragen, seit wann Du diese Erkenntnis hast? Ich habe Dein Buch Neuland, aus der Zeit wo Du noch mit Daniel viel gemeinsam gemacht hast. Ich kann keinen so großen Unterschied Deinen Botschaften von damals zu heute erkennen. Es ging im Kern doch immer darum, sich so anzunehmen wie man ist, weil man es ja schon ist.
Vielen Dank für Deine Antwort.
Liebe Lara, vielen Dank für Deine Frage und dafür, dass Du mich auf meinem Weg schon so lange begleitest. Ja, die Botschaft mag im Kern dieselbe geblieben sein, doch wie in jeder Reise gibt es auch hier eine Art Vertiefungsweg. Je konsequenter und länger man sich einem Thema widmet, desto mehr zieht es einen in die Tiefe – fast wie ein Sog, der uns in einen Zustand führt, in dem wir schließlich ganz in diesem Augenblick landen. Und dieser Augenblick ist völlig fraglos.
Es klingt einfach, „sich selbst anzunehmen.“ Doch oft ist genau das, was sich annehmen möchte, immer noch voller Konflikte und Erwartungen gegenüber sich selbst. Es ist, als ob das, was uns eigentlich Frieden bringen soll, doch immer wieder den inneren Krieg entfacht. In der Tiefe geht es daher weniger um Annahme oder Ablehnung, sondern um das Erkennen, was es wirklich heißt, bei sich selbst zu sein. In diesem Raum des Erkennens gibt es kein „Ja“ oder „Nein“ mehr, sondern nur die Erfahrung des Lebens als genau das, was gerade geschieht. Ich gehe immer wieder auf unterschiedliche Stadien dieses Weges ein und mir hilft es bei der Schwerpunktauswahl, wenn ich Fragen bekomme. 🙂
Ich hoffe, das hilft Dir, meinen inneren Weg und die Texte besser zu verstehen. Vielen lieben Dank für Dein Interesse! LG Nicole
Ja, wunderbar, ich verstehe jetzt besser was Du meinst. Vor allem der Hinweis, dass es
nicht um ein Ja oder Nein mehr geht.
Herzlichen Dank