Sich zu sich selbst umdrehen- anhören

von Nicole Paskow

Die meisten Menschen, die den Weg der Spiritualität beschreiten, wollen tief in ihrem Inneren erreichen, dass sie sich selbst nicht mehr als problematisch empfinden. Für die meisten sind spirituelle Perspektiven und Prinzipien Wege, um vor ihren schwierigen Gefühlen zu flüchten. Immer geht es um die Auflösung des Egos, das dem inneren Frieden ständig im Weg steht. Die Hoffnung ist, einen dauerhaften Zustand der inneren Ruhe und Losgelöstheit zu etablieren, eben so, wie sich die meisten die Erleuchtung vorstellen.

Sie schauen sich die Gurus und spirituellen Lehrer an, die es „geschafft“ haben oder denen „es“ passiert ist, und erkennen in ihnen das beständige Leuchten der Liebe und den friedlichen Blick der inneren Stille. Und das wollen sie auch „haben“.

Ich wollte mich auch von meinen starken Emotionen befreien, die mich oft wie ein Blatt im Wind energetisch und auch praktisch hin- und hergeworfen haben. Mein Geist wollte alles durchdringen (und hat es auch), um vorzudringen zur ewigen Wahrheit. Und das hat er auch. Ich fühlte mich immer unvollkommen und nicht gut genug auf allen Ebenen des Lebens und strebte, wie alle, die mir begegnet sind, danach, eins zu werden und mich endlich geerdet, beruhigt und in Frieden mit mir und der Welt zu fühlen. Und das für immer.

Von einer Grenze zur nächsten

Aber früher oder später landete ich wieder vor einer inneren Grenze, die es erneut zu überwinden galt. Ich konnte meine Gefühle nicht loswerden und dachte, ich mache etwas falsch, und suchte weiter und weiter. In Büchern, in Gesprächen, in Videos. Doch das Leben vor meiner Nase machte, was es wollte, mit mir.

Ich sehnte mich nach Verankerung, nach einem Halt im scheinbar erlösten Lamento von „Es ist, wie es ist“, „Alles geschieht, wie es geschieht“, „Es gibt niemanden, dem es geschieht“ … Doch es blieb alles auf der mentalen Ebene hängen. Die „Wirklichkeit“ sah anders aus. Alles, was geschah, geschah „mir“, und ich hatte sehr oft etwas gegen das Geschehen und war ganz bestimmt nicht „niemand“.

Und irgendwann war es genug.

Warum auch immer, bahnte sich ein Erkennen durch alles hindurch, worum ich mich so sehr „bemühte“. Ich sah immer auf all die anderen, die schon so weit waren, die „das Geheimnis“ kannten, die erreicht hatten, was ich wollte. Und ich sah immer von dem ab, was direkt anwesend war. Nämlich die naheste Wahrnehmung, die es gibt: Mich selbst.

Mit dem Kopf durch die Wand

Hier wollte etwas immer weg von dem, wie es empfunden wurde. Weil es woanders immer besser war. Nur nicht dort, wo ich war. Ich verglich mich, ich war neidisch, ich wollte auch …

So sehr.

Irgendwann tat der Kopf wirklich weh, mit dem ich immer durch die Wand wollte. Und ich bemerkte zum ersten Mal die Wand, gegen die ich anlief. Weil mein Kopf weh tat.

Ich stellte fest, dass alles, was einem selbstverständlich ist, nicht zählt. Ich war selbstverständlich für mich, denn ich war ja ich! Schon immer! Wenn man ist, was man ist, sieht man es nicht. Man kann sich erst sehen, wenn man einen Abstand einnimmt. Wenn Du mit der platten Nase vor einem Bild stehst, siehst Du das Bild nicht. Du musst Dich in einer gewissen Entfernung davor hinstellen, um es betrachten zu können.

Der Schmerz als Hinweis

Das Leben hat es so eingerichtet, dass es uns Schmerzen schickt, damit uns etwas auffällt. Der Schmerz ist dazu da, den Blick zu heben, etwas zurückzutreten, innezuhalten und zu sehen, was geschieht. Und um uns darum zu kümmern, damit es wieder „gut“ wird. Und „gut“ heißt, damit es wieder in sich einsinken kann, um einfach zu sein. Ohne große Erhebung. Gesund sind wir, wenn alles läuft und nichts den Körper daran hindert, zu tun, was er tut. Wir bemerken den Körper nicht, wenn wir gesund sind.

Erst ein Schmerz macht uns auf eine Unstimmigkeit aufmerksam. Als spirituelles Prinzip dahinter könnten wir sagen, dass das Leben selbst der Schmerz ist, der das, was dem Leben zugrunde liegt, überhaupt erst in die Lage versetzt, auf sich selbst zu treffen.

Ich erkannte also sehr schmerzhaft, dass ich MICH übersehe für einen Wunsch, der mich immer von mir wegführen würde. Immer. Das war ein echtes Erwachen. Das ging mir durch und durch und stand allem entgegen, was ich über die Auflösung des Ichs gehört und gelesen hatte.

Die Konditionierung bestätigt

Ich erkannte, und mir wurde richtig schlecht dabei, dass meine spirituelle Suche meine Konditionierung nur noch verstärkt hat. Sie war ein weiterer Ausdruck davon, mich selbst zu ignorieren, abzuwerten und mich von mir abzuspalten. Für ein angeblich „höheres Ich“, das endlich mit sich selbst in Frieden wäre. Aber wie könnte sich hier irgendein Frieden einstellen, wenn ich doch die ganze Zeit mit mir im Krieg war?

Das Ganze ist ein so perfides Spiel, dass es Dich in einer Spirale hält, die unendlich scheint: Du willst Dich loswerden und hoffst, Dich durch diese Befreiung endlich als Dein wahres Ich zu fühlen, das immer in Frieden mit sich und allem ist, weil es dann ja EINS ist. Und wenn Du Dich noch nicht so fühlst, machst Du etwas falsch, siehst etwas falsch und bist noch nicht so weit. Das hält Dich im Schuldgefühl und in der Abspaltung gefangen und, wenn Du Pech hast, bei einem „Meister“, der sein Geld mit Dir und Deiner hoffnungslosen Hoffnung verdient. (Bis es Dir weh tut und auffällt …)

Es war ein Moment, in dem all die Anstrengung von mir abfiel. Die Anstrengung, nicht ICH SELBST zu sein. Und ich fühlte etwas, das sich weich anfühlte, fließend, das mich umspülte wie ein warmer Regen, wie ein Bad in echter Wärme und Geborgenheit, als würden die harten Grenzen verschwimmen, die ich nie bemerkt hatte, die aber mein Leben bestimmten. Und ich fühlte mich gleichzeitig schwach und aufgehoben, losgelassen und weich gebettet. Und da war aber nur ich. Ganz allein nur ich selbst.

Das Weinen des Aufgebens

Es war wie eine Erlösung nach der Einsicht, dass es wirklich SO nicht geht. Stell Dir vor, Du wirst gezwungen, etwas aufzugeben, was Du wirklich nicht aufgeben willst, weil Du so sehr daran glauben willst, dass Du weitermachst und weitermachst, bis es wirklich nicht mehr geht. Dann lässt nicht DU los, sondern etwas wird losgelassen. Und Du fließt in dieses Aufgeben hinein, und es ist wie eine tiefe Umarmung, die sich unendlich mütterlich anfühlt, bedingungslos nährt und hält. Einfach so, wie Du bist.

Ich habe lange geweint, bis ich vollkommen leer war. Aber es war das Weinen des Aufgebens, das sich in Hingabe erlöst. Du gibst den Kampf hin. Du gibst ihn ab, Du lässt ihn los. Er wird losgelassen. Und alles ist gut. Übrig bleibst Du. Ganz nackt. Ganz – so. Ohne Worte, ohne Beschreibung, ohne Richtung, ohne Frage. Nur Du.

Du sinkst Dir auf den saglosen Grund. An den Ursprung Deines Wesens. Dort gibt es wirklich keine Fragen mehr. Nur noch Dein Sosein. Das ist schon das Einssein, das in der Tiefe immer ist, das sich aber bis an die Oberfläche, all die Millionen Kilometer vom Meeresboden bis an den Rand der Wellen, scheinbar verliert.

Es bedeutet nichts

Und es heißt nichts. Ich kann nichts besser als vorher. Ich bin nur eins mit mir. Und das ist etwas ganz Einfaches, ganz Unspektakuläres. Dieser Einklang ist so, wie er ist. Mehr lässt sich nicht sagen. So, wie die Rose eine Rose ist und sich nicht hinterfragt. Oder der Walnussbaum oder die Katze …

Hier bin ich. Was auch immer das bedeutet. Und ich bin so, wie ich mich erlebe. Der Widerstand dagegen ist weg und die Grenzen sind aufgelöst. Die Wolken ziehen am Himmel. Vögel kreisen. Mein Herz ist leicht oder schwer. Ich lache oder weine oder schweige. So ist es. Immer. Immer so, wie es gerade jetzt ist.

 

 

 

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