Von er Illusion des Ankommens- anhören
Auf dem spirituellen Weg stellt sich oft die Frage: Werden wir jemals ankommen? Werden wir irgendwann den Punkt erreichen, an dem alles vollständig ist, an dem wir ruhen können? Doch die Antwort auf diese Frage liegt direkt vor uns, in der Stille dieses Augenblicks. Denn wir können immer nur hier ankommen, in diesem Moment. Alles geht von diesem Augenblick aus, und jeder Gedanke an ein zukünftiges Ankommen ist nichts weiter als eine Projektion.
Das Spannende daran ist das Paradoxon: Wir vergessen immer wieder, dass alles nur jetzt geschieht. Das Hier und Jetzt ist die einzige wahre Gegenwart. Doch sobald wir versuchen, sie festzuhalten, entgleitet sie uns. Wenn wir danach greifen wollen, wird klar, dass das „Jetzt“ keine Erfahrung ist, die wir machen können. Es ist weder greifbar noch messbar. Diese Gegenwärtigkeit, das reine Jetzt, kann nicht eingefangen werden, denn es existiert nur als Bewegung – und die Bewegung selbst lässt sich nicht in einen Rahmen fassen.
Wirklich hinzusehen bedeutet zu erkennen, dass sich alles ständig verändert. Wir nehmen wahr, doch das Wahrgenommene ist immer im Fluss, nie im Stillstand. Die Wahrnehmung selbst mag wie ein Ruhepol erscheinen, doch sie kann sich nicht selbst erkennen. Könnte sie sich selbst erkennen, wäre sie nicht die Wahrnehmung selbst. Oder anders: Dem Sichtbaren liegt das Unsichtbare zugrunde. Die Wahrnehmung erfährt sich also nur im Wahrgenommenen, in dem, was in diesem Augenblick geschieht. Sie ist also da, auch wenn wir sie nicht „mitkriegen“.
Das Jetzt kriegt sich nicht mit
Und was wir wahrnehmen, das ist die Erfahrung. Das Jetzt jedoch ist Erfahrungslosigkeit – es ist das Jenseits all dessen, was wir begreifen können. Ein „Ankommen“ in diesem Sinne gibt es nicht, weil Ankommen im Fluss dieses Moments keine statische Zielmarke hat. Es ist wie der Versuch, den Fluss zu stoppen, um ihn besser zu verstehen, nur um zu erkennen, dass er nur im Fließen selbst existiert.
Als dieser Mensch ,der wir sind, projizieren wir uns eine gedankliche Zukunft ins Leben – oder besser gesagt – in den Raum der Erfahrung – und ebenso eine gedankliche Vergangenheit. Doch all das tun wir stets von hier aus. Deshalb ist jedes Erreichen eines Ziels die Illusion von Bewegung, die wir im Rahmen eines ausgedachten Gestern und Morgen erleben. In Wirklichkeit geschieht jedoch nichts, weil sich an der nackten Wahrnehmung selbst nie etwas ändert. Alles, was geschieht, wird allein durch die Wahrnehmung sichtbar; sie selbst aber bleibt im Unbekannten. Dort gibt es weder Stillstand noch Bewegung.
Wir erfahren uns tatsächlich wie Zuschauer eines Films – wie die Filmfiguren, die sich ständig bewegen. Aber in Wirklichkeit kommt niemand vom Fleck. Wenn wir irgendwo ankommen, dann in der Erkenntnis, dass wir nicht ankommen können, weil wir nie losgelaufen sind. Das ist das Einzige, was als Ankommen möglich ist – und das will niemand hören, weil man dann glaubt, dass alle Bewegungen sinnlos sind. Doch das stimmt so nicht ganz. Wir können ja aus diesem Kreislauf von Wahrnehmung und Wahrgenommenem nicht hinaus. Da existiert ja keine Trennung dazwischen. Wir können diese beiden differenziert betrachten, aber wir können ihnen nicht entrinnen, weil wir sie sind.
Ein Kollaps für den Verstand
Das bedeutet, wir erleben dieses Leben, so wie wir es erleben. Wenn wir erkennen, dass es kein Ankommen gibt, sehen wir auch, dass es kein Loslaufen gegeben hat. Und das lässt etwas im Verstand kollabieren – in sich selbst hinein und damit genau an diesen Ort: Jetzt. Schön, nicht? 🙂
Was das für mich ganz persönlich bedeutet, ist, dass etwas in mir zutiefst in Ruhe ist. Es gibt nichts mehr zu erreichen, weil es keinen Wunsch mehr danach gibt. Denn der Wunsch ist völlig sinnlos, wenn man wirklich erkannt hat, dass wir uns immer nur in einer geschlossenen Blase aufhalten können.
Und die führt einfach nirgendwohin als immer nur durch sich selbst. Wir können immer nur annehmen, dass wir ankommen. Und dann stellen wir fest: Jetzt geht’s weiter. Und wir drehen uns endlos im Kreis. Das große Anhalten ist zugleich der Komplettausstieg aus der Annahme, dass wir uns bewegen.
Der spannendste Film, den es gibt
Dann erkennen wir, dass das, was wir als uns selbst bezeichnen, nicht das ist, was wir als uns selbst empfinden. Das, was wir empfinden, ist eine Erfahrung, etwas Wahrgenommenes. Doch was wir sind, ist das, was wahrnimmt. Und, wie oben beschrieben, kann sich Wahrnehmung nur durch das Wahrgenommene erfahren, sonst nicht. Das heißt, „ICH“ bin in Stille. ICH bewege mich nicht. ICH erfahre die Bewegung eines Ichs, das denkt, loszulaufen und anzukommen. Und ICH erfahre jedes Ich, das ICH erfahre als dieses eine ICH. Das ist, was uns alle eint.
Ich kann mich aber nur als genau dieses eine persönliche Nicole-Ich in dieser Ausführlichkeit, die ich als „mein Leben“ kenne, wahrnehmen.
Es reicht völlig, das einmal wirklich verstanden zu haben, um dieses Leben genau so, wie es ist, in absolut jeder Gefühlslage, in jedem Zustand, in jeder Erfahrung, die es bietet, erfahren zu können. Und es auf eine sehr grundlegende Weise zu genießen. So wie einen sehr spannenden, immer wieder überraschenden Film, der einen völlig einnimmt.
Oh Nicole, ich danke Dir sehr für diese zutiefst einbrennenden und doch so einfachen Worte. Es ist total nachvollziehbar, was du da sagst. Da werden wir zu Einem, weil wir alle uns als dieses Ich in der Wahnehmung erkennen. Jeder von uns. Kein Ausweg. Kein Loslaufen, niemals ankommen. Die vergangenen sowie auch die zukünftigen Projektionen verblassen, bei jedem neuen Jetzt.
Wie friedvoll und alles beinhaltend.
Ja,Susanne, es ist spannend und schön, nach allen Ausflügen immer wieder „hier“ zu landen 🙂 LG Nicole
Hallo NIcole,
Danke für Deine Texte.
Als Ergänzung folgendes:
Wenn wir erkennen, dass alles nur von den Umständen abhängt, ich meine, wenn wir wirklich ergründen, nachforschen und dann letztendlich feststellen, dass wir absolut keine Kontrolle über irgend etwas haben, noch nie gehabt haben und auch nie haben werden, dann erkennen wir, dass es darin auch kein Ich gibt, welches irgendeine Entscheidung hätte machen können.
Es sind immer die Umstände, absolut immer, die das Leben formen, niemals, wirklich niemals ein Ich.
Durch diese Nachforschungen wird es vielleicht klar, dass es niemals ein Ich gegeben hat.
Muß man mehr wissen?
Alles Liebe,
Olaf
Danke für Deinen Kommentar, Olaf!
Ja, es hängt alles von Umständen ab, die von nichts und niemandem beeinflusst werden. Man könnte sagen, es sind
Umstände, die sich durch den sogenannten Urknall geformt haben und sich immer weiter in den Raum der Erfahrung
entfalten. Auf die Weise, wie sie es tun. Und gleichzeitig gibt es darin die Wahrnehmung eine Ich’s
das all das sehen kann. Für mich wirkt es wie ein Filter, durch den sich eben dieses Erkennen formuliert.
Es ist und bleibt ein Paradoxon. Beides stimmt: Es gibt ein Ich (Relative Erfahrung) und es gibt kein Ich (Absolutes).
Das Absolute erfährt sich durch das Relative.
Da es keine Trennung zwischen beiden gibt, ist es immer nur eine Frage der Perspektive, was gerade gesehen wird.
Herzlich, Nicole
Das Denken, in künstlichen Konstrukten, hat uns einfach übersehen lassen, wie es ständig durch die Anwesenheit überfließt und in den Raum ergießt.
Liebe Nicole, wenn ich eines von dir wirklich schon mitgenommen habe, daß es völlig egal ist ob ich etwas verstehe 😊. Wenn ich es auch nur im Ansatz versuche, ist da so viel Anstrengung, daß ich es gleich wieder seinen lasse und trotzdem bringen mir deine Worte, dir einfach nur zu zu hören, ohne verstehen zu wollen, so viel und dafür danke ich dir von ganzem Herzen ❤️
Liebe Ines, ja, vieles erschließt sich eher energetisch als über den Verstand. Schön, dass Du es auch so erfährst! Herzliche Grüße zu Dir, Nicole
Dankbar, in inniger Freude, höre und lese ich immer neu diese so klaren, befreiende Worte :o)
Das freut mich, liebe Irene! 🙂 Herzliche Grüße zu Dir! Nicole