Ein und Dasselbe redet mit sich selbst- anhören

von Nicole Paskow

 

Vor Kurzem lag ich abends mit meiner zwölfjährigen Tochter auf dem Bett und wir sprachen über das Leben. Sie erzählte, dass es manchmal schwer für sie sei, so viel wahrzunehmen und das mit niemandem in ihrem Alter teilen zu können. Sie ist sehr weit für ihr Alter, und ihr Wortschatz ist beeindruckend. Ihre beste Freundin ist 19 Jahre alt. Für die Kinder in der Schule ist sie wie ein Magnet. Jedes Kind vertraut ihr seine Geheimnisse an, weil es weiß, dass Lelina sie für sich behält. Sie kann gut zuhören, weil sie sich nicht in den Vordergrund drängt und damit den anderen Raum gibt. Sie möchte Psychologin und Autorin werden.

Das Schönste, was sie mir erzählte, war, dass sie es seltsam findet, dass so viele Kinder davon träumen, Meerjungfrauen oder andere Fantasywesen zu sein. Dabei, sagte sie, würden sie übersehen, dass die echte Magie die ganze Zeit schon da ist.

„Was ist denn ein Blitz?“, fragte sie mit großen Augen. „Ein heller Strich, der plötzlich im Himmel erscheint, und dann donnerts! Oder ein Blatt, das im Herbst die Farbe wechselt und vom Baum fällt, und im Frühling wächst da wieder eins!“

Die Illusion der Erklärungen

„Ja!“, stimmte ich zu. „Und Wunden, die plötzlich wieder verheilen, als wäre nichts gewesen!“
Und so staunten wir eine Weile über die echte Magie im Alltag, die kaum einer bemerkt, weil sie uns so selbstverständlich erscheint, wenn man damit aufwächst. In der Schule, meinte Lelina, bekommen wir für alles Erklärungen, die uns das Staunen abgewöhnen. Als würden Erklärungen wirklich alles erklären!

„Erklärungen sind wie eine Beruhigungspille“, sagte ich. „Sie geben uns das Gefühl, sicheren Boden unter den Füßen zu haben. Und das nennen wir dann rational, vernünftig und wissenschaftlich erwiesen.“ Wir lachten beide herzlich darüber.
Das geht gut mit Kindern, dachte ich. Sie haben noch keine Angst vor der Leere des Nichtwissens, wie Erwachsene es oft haben. Die Erwachsenen meinen, sie wüssten, wie das Leben funktioniert, und blocken alles ab, was an diesem Wissen rütteln könnte.

Das ewige Dasein

Ich wagte mich in unserem Gespräch weiter vor und erzählte ihr von meinem seltsamen Eindruck, dass es etwas in mir gibt, das immer noch so ist wie damals, als ich zwölf Jahre alt war. Etwas, das auch schon da war, als ich fünf war, und sogar noch früher – etwas, das jetzt immer noch da ist. Unverändert. Es ist einfach nur „da“, ganz egal, was passiert.
„Ich kenne das!“, sagte sie sofort.

„Natürlich kennst Du das!“, antwortete ich. „Denn stell Dir vor: Dieses Dasein, das ich erlebe, und das Dasein, das Du erlebst, ist ein und dasselbe! In Deinem Fall sieht es so aus wie Du, und in meinem Fall sieht es so aus wie ich.“ Wir gingen alle Menschen durch, die wir kennen, und freuten uns daran, dass in jedem dasselbe Dasein steckt. Wie verrückt – und schön – das ist!
„Dann ist es ja so“, sagte sie, „als würde ein und dasselbe Dasein immer mit sich selbst reden!“

Das Missverständnis der Trennung

„So ist es auch!“, rief ich begeistert.
„Aber warum streitet es sich dann mit sich selbst?“, fragte sie verwirrt.
„Das passiert, wenn es nicht weiß, dass es mit sich selbst redet, und sich einbildet, der andere sei ein Fremder.“

„Es muss sich selbst erzählen, dass es überall drin ist, damit es das weiß?“, fragte sie ungläubig.
„Ja, so sieht‘s aus!“, sagte ich. „Aber das Problem ist, dass es sich selbst nicht glaubt.“
„Ich glaube Dir“, sagte Lelina.

Bewusstsein und Gewahrsein

„Das musst Du gar nicht“, entgegnete ich. „Du spürst es ja in Dir. Das ist der Beweis.“
Dann lauschte sie wieder. Und lächelte. „Das ist echte Magie.“
„Ja“, sagte ich und freute mich schon auf den Moment, wenn ich ihr irgendwann später zeigen würde, dass dieses seltsame Dasein, das in allen Dingen wohnt, noch viel weniger greifbar ist als das Licht der Sonne, das wir immerhin sehen können. Das Dasein selbst ist unsichtbar – im Grunde ist es nur eine Art Wissen, das allem innewohnt. Ein reines Wissen um das einfache Anwesendsein.

Dieses Dasein existiert, aber nur dann, wenn es sich selbst kennt. Wenn es nur da ist und nichts von sich weiß, nennen wir es Gewahrsein. Wenn es sich selbst erkennt, nennen wir es Bewusstsein. Und wenn wir wirklich tief hineinspüren und hinschauen, was dieses Bewusstsein ist, dann bleibt nur noch ein Staunen übrig. Ein Staunen über das Unsagbare, das allem zugrunde liegt.

Die Traumhaftigkeit des Lebens

Unser Dasein besteht am Ende nur aus dem Wissen um sich selbst. Aber wo ist da die Substanz? Wo ist die Materie?
Im Bewusstsein des allgegenwärtigen Gewahrseins wird deutlich, wie traumhaft das Leben ist. Denn wenn kein Wissen darüber besteht, dass am Ursprung unserer Erfahrung nur reines Anwesendsein existiert, was bleibt dann? Nichts. Nicht einmal das Anwesendsein selbst, denn das braucht ein Grundbewusstsein seiner Existenz. Wenn es kein Wissen darüber gibt, dann existiert nichts.

Und selbst wenn es ein Wissen gibt, worüber können wir uns am Ende wirklich bewusst werden? Dass alles, was wir wahrnehmen, nur im Bewusstsein erscheint – in diesem reinen Wissen über das Anwesendsein. Bäääm!
Aber wo ist dieses Bewusstsein? Wo genau befindet es sich? Wo kommt etwas „zu sich“? Auch hier gibt es keine klare Antwort.

Das Unsagbare feiern

Nicht, weil sie noch nicht gefunden ist, sondern weil es sie gar nicht geben kann. Jede Ortsangabe wäre eine unzulässige Begrenzung. Bewusstsein ist die Grundsubstanz, in der alles erscheint – auch alle Ortsangaben.
Und so landen wir wieder im Unsagbaren. Ich finde das aus einem unerfindlichen Grund unendlich schön. Es ist so schön zu wissen, dass nichts auf die Weise existiert, wie wir das mal gelernt haben und dass das Leben eine Art Traum ist, den niemand träumt.

Und gleichzeitig kann ich meiner schläfrigen Tochter durchs Haar streichen, ihr Gesicht betrachten und sie unendlich lieben. Ich kann melancholisch sein, mich am Herbst erfreuen, den Duft der Erde tief einatmen und dieses unendliche Wunder bestaunen, das keinen Ursprung hat und kein Ende. Herrlich. Das ist absolute Fülle.

 

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