Was ist Deine Urwunde? -2 - anhören
5. Der, der durch sein Wissen lebt
Menschen mit dieser Urwunde sind sehr, sehr sensibel. Man könnte sagen „hautlos“. Um diese Empfindsamkeit nicht direkt zu spüren, suchen sie in speziellen Wissensgebieten nach einem Halt, einer Sicherheit. Sie sind die Experten, die alles in Erfahrung bringen, was über das Gebiet ihres Interesses, und das kann sehr umfangreich sein, auffindbar ist.
Es sind die Denker unter uns, die immer neues Wissen anhäufen, um sich in ihrem Universum der Gedanken und Schlussfolgerungen eine sichere Burg zu erschaffen. Und dort leben sie auch, Einzelgänger, oder heute sagen wir „Nerds“, Zurückgezogene, die geizig mit ihrer Zeit und Energie haushalten. Da wo die Außenseiter von Punkt 4 darunter leiden, dass sie keine Gruppe finden, wollen die, die durch ihr Wissen leben, gar nicht dazugehören. Sie mögen es gern am Rand zu stehen und die Menschen von dort aus zu beobachten, um zu erfahren, wie man sich als Mensch verhält.
Da ist eine große Angst vor Vereinnahmung durch andere Menschen. Sie tanken regelrecht Energie auf, wenn sie allein sind und sich ihren Interessen widmen und verlieren Energie, wenn sie unter Menschen sind. Am angenehmsten sind ihnen Kontakte zu Leuten, die das gleiche Interesse teilen, mit denen sie über ihr Thema sprechen können. Sie wirken eher unsozial und haben kein Interesse an den üblichen gesellschaftlichen Floskeln in Begegnungen. Sie wollen sich nicht durch gesellschaftliche Normen bestimmen lassen.
Abgeschnitten von den Gefühlen
Dadurch sind sie integer und nicht korrumpierbar. Durch die Überbetonung des Mentalen, sind sie jedoch von ihren Gefühlen abgeschnitten, was nicht bedeutet, dass sie keine haben. Eher im Gegenteil. Sobald sie „aus dem Denken fallen“, fühlen sie sich von Gefühlen überwältigt. Doch ihr ganzes Wissen dient ihnen als mentaler Überbau, der sie vor der Überwältigung durch ihre Gefühle schützt.
Der Weg zu sich selbst führt diese Menschen in die Öffnung für das Leben und alle Gefühle, die es ihnen beschert. Sich vom Leben erfassen lassen … Dann hört die Resignation auf, die sie sehr gut kennen. Sie müssen sich der Beobachtung stellen, dass sie das Leben eher erklären, anstatt es zu leben. Die Leere und Erschöpfung, die sie oft überfällt, ist nicht die Wirklichkeit, sondern das Ergebnis der Betäubung durch ihre mentale Überaktivität. Verzicht durch Nichtanhaftung führt sie in ihre Wahrheit, die immer schon hinter der Urwunde, durch die sie in die Welt sehen, existiert.
Vom Kopf in den Körper
Die Nichtanhaftung an ihrer Art des Wissens führt sie in das Bewusstsein, nicht zu wissen, was am besten für sie ist und sich dem Großen und Ganzen zu überlassen. Hier sind sie offen für das, was das Leben mit ihnen vorhat, sie verschmelzen mit dem Leben und die mentale Schranke löst sich in Stille und Frieden auf. Das wahre Wissen steigt aus dem Nichtwissen auf und macht sie zu freien Wesen, die an eine tiefere Quelle angeschlossen sind.
Eine Quelle, die alles für sie bereithält, was sie zum Leben brauchen. Sie bewegen sich vom Kopf in den Körper und spüren ihre Lebendigkeit, die sie gepaart mit einem – vom Denken ungeteilten Wissen aus der Tiefe – zu Dienern der Klarheit und Leere macht. Dann sind sie einzigartige Ratgeber, von denen eine natürliche Autorität und Aktivität ausgeht, durch die sie unvoreingenommen und klar ihr hohes Wissen vermitteln.
6. Der Zweifler
In meinen Gesprächen erkenne ich sie immer an dem typischen „Ja … aber …“ Sie sind offen und neugierig und zu 100% gewillt zu verstehen. Doch nach jeder Erkenntnis und der enthusiastischen Freude darüber, folgt unweigerlich eine kleine Pause … in der dann das „Ja … aber …“ kommt. Diese Menschen halten sich ständig in ihren Gedanken auf, wodurch die Welt beliebig, und unzuverlässig erscheint, wie Gedanken eben sind.
Sie erscheinen mal so und mal so. Man kann sich nicht auf sie verlassen. Menschen, die mit dem Denken identifiziert sind, fühlen sich haltlos. Sie trauen dem Leben und anderen Menschen nicht, weil sie kein konstantes Ichgefühl haben, da es mit den wechselnden Gedanken wechselt. Und so wirkt dann auch die Welt als unsicherer Ort.
Oft hat dieser Mensch, während eines Erlebnisses kein Gefühl dazu, doch wenn er dann allein ist, und das Geschehene rekapituliert, kommen die Emotionen hoch und er fühlt alles Schöne und Schreckliche nach. Diese Urwunde ist von verdrängter Angst geprägt. Vor allem von der Angst vor der Angst. Angst ist also etwas, das gar nicht wahrgenommen wird. Sie gehen jedoch immer von der Katastrophe aus, die sich in der Zukunft ereignen wird, in der Hoffnung, sich mental auf sie vorbereiten zu können.
Misstrauen im Gepäck aber Loyalität im Sinn
Taxieren und ergründen, damit ist dieser Mensch am meisten beschäftigt. Was meint der andere wirklich? Was soll ich ihm sagen? Ist es besser nichts zu sagen, oder darauf einzugehen? Sie können endlos in solchen Gedankenschleifen hängen bleiben und nicht mitbekommen, wie sie ihre wahren Gefühle durch die Denkerei verhindern. Gefühle, die durch das Denken entstehen, sind künstliche Gefühle, die nichts mit der wirklichen Situation, in der sie sich gerade befinden, zu tun haben.
Alles, was gedacht wird, kann auch bezweifelt werden. Hieraus entwickeln sie regelrecht eine Sucht nach der Suche nach Negativität. Sie wird aus dem Zweifel geboren, aus der Suche nach Gefahren, die man abwenden kann, nach Lügen, denen man nicht aufsitzen muss. Ein latentes Misstrauen begleitet sie durch jede Begegnung.
Entdecke, was geschieht und vergiss den Wunsch gesagt zu bekommen, was Du zu tun hast, damit Du Dich nicht in Deinen Zweifeln und der Unsicherheit verlierst! Das wäre ein gutes Motto für die Menschen, die durch diese Urwunde in die Welt sehen. Beherztheit ist ihr Weg. Der Mut den Verstand in den Dienst des Herzens zu geben und von dort aus die Welt zu erfahren. Nichts zu glauben und nichts zu bezweifeln. Selbst herauszufinden, was wirklich ist und das in sich zu entdecken, was keinen Anfang und kein Ende hat.
Darin liegt die absichtslose Weisheit und die überpersönliche Liebe. Der wichtigste Schritt ist, die Angst zu entdecken, die unter all den Sorgen und Zweifeln liegt und sich ihr zu stellen. Diese Erschütterung trägt dazu bei, die Liebe zu entdecken, die darunter liegt. Eine Liebe, die leer ist und reines, absichtloses Dasein bedeutet. Von hier aus zeigt sich die natürliche Intelligenz als Klarheit, in der Gefühle auftauchen und wieder absinken, Gedanken auftauchen aber niemand daran festhält. Dieses lebendige Nichts ist die natürliche Heimat, die sich zeigt, wenn die Urwunde des Zweifels sich im Licht der Klarheit entspannt und sich furchtlos ins Dasein integriert.
7. und 8. erscheint im Buch, das im Februar veröffentlicht wird …
9. Harmonie um jeden Preis
Selbstvermeidung und das Streben nach innerem Frieden prägen diese Urwunde. Dieser Typus ist auch als „Der Friedensstifter“ oder „Der Vermittler“ bekannt. Menschen, die durch diese Brille sehen, bestechen durch ihre Entspanntheit und ihre Bemühungen Konflikte zu umgehen, um äußeren und inneren Frieden zu bewahren. Sie tendieren dazu, sich selbst zu vernachlässigen, um Harmonie in ihren Beziehungen zu wahren. Es ist als ob sie eine innere Trägheit dazu bringt für sich selbst einzuschlafen und nicht mitzubekommen, wie sie sich wirklich fühlen.
Als würden sie in einem behaglichen Nebel laufen und sich an dem orientieren, was sich von dort in ihr Sichtfeld drängt. Sie gehen mit dem, was deutlich wird und das sind meistens andere Menschen. Die Angst, die hier ganz tief versteckt liegt, ist die Angst vor Ablehnung. Deshalb fügen sie sich oft in das ein, was vor ihnen liegt und sind die Beisitzer, die im Hintergrund dem Geschehen beiwohnen.
Andere Menschen empfinden sie als sehr angenehm, weil sie keinen Raum einzunehmen scheinen und allen Raum dem Gegenüber überlassen. Sie sind fantastische Zuhörer, bei denen man sich vollkommen angenommen und verstanden fühlt. Aber sie sind die Übersehenen, denen auf seltsame Art die eigene Substanz zu fehlen scheint, durch die sie in der Welt stehen.
„Mir geht’s gut“, ist ihre Standardantwort auf die Nachfrage, denn ihr innerer Nebel lässt sie selten etwas Negatives im Inneren entdecken.
Falsche Harmonie
Motiviert durch die Vermeidung von Konflikten setzen sie alles daran, Unannehmlichkeiten zu umgehen. Ihr Ziel ist es, Einheit und Harmonie in ihren Beziehungen und in der Welt zu schaffen. Trotz ihrer ausgeglichenen und einfühlsamen Natur können sie dazu neigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu übersehen und sich in selbstauferlegter Passivität zu verlieren.
Sie scheinen eine ausgeglichene Persönlichkeit zu haben, die Geduld und Toleranz ausstrahlt. In stressigen Situationen ist ihre Präsenz beruhigend und voller Verständdnis für die Perspektiven anderer. Dennoch müssen sie ihre Neigung zur Selbstverleugnung und Vermeidung von Konflikten überwinden, um zu erkennen, was ihre wahre Wirklichkeit ist.
Hier geht’s insbesondere um bewusste Selbstreflexion, aktive Teilnahme am Leben und die Priorisierung ihrer eigenen Bedürfnisse. Durch die Anerkennung der eigenen Bedürfnisse und die Fähigkeit, für sich selbst einzustehen, können sie einen Weg zu einer gesunden und selbstbewussten Entwicklung finden.
Innehalten, nachspüren …
Wenn sie bereit sind nicht so schnell „Ja“ zu sagen, innezuhalten und so lange in ihren Körper zu spüren, bis sie auf das vorhandene Empfinden stoßen, entwickelt sich ihr Leben nach und nach wahrhaftiger und die Nebel lichten sich. Die Selbstwahrnehmung vertieft sich und erkennt, dass da sehr wohl ein Jemand ist, der einen Eigenwillen verkörpert.
Sind diese Menschen auf dem spirituellen Weg, gilt für sie fast immer das Gegenteil von dem, was den anderen Urwunden Perspektiven geraten wird: Statt – werde Niemand! Gilt für sie: Werde Jemand! Es geht für sie darum mit aller inneren Feuerkraft, die sie aufbringen können, durch die instinktvie Bauchenergie, vollständig in dieses Leben zu inkarnieren. Sie müssen dem starken Sog in das „innere Verschwimmen“ widerstehen und kraftvoll ihre Emotionen erleben, um ein Gespür für den Lebenswillen zu bekommen, der durch sie geht.
Gelingt das, schält sich aus dem diffusen Nebel eine Persönlichkeit heraus, die voller Leidenschaft offen für alle Erfahrungsmöglichkeiten des Lebens ist. Sie verkörpert das reine Gewahrsein, das so frei und ungebunden ist, dass es bereit ist alles hautnah und ohne innere Schranken zu erfahren. Dadurch spüren sie die Urlebendigkeit, die dem Leben innewohnt, wenn es sich komplett an die Erscheinung seiner selbst hingibt. Sie sind die weisesten Ratgeber, die alles und jeden so belassen, wie er ist und dadurch reine Heilenergie verströmen, einfach nur durch ihre authentische, kraftvolle und wohlwollende Präsenz.
Oh, da erscheint er ja, mein Avatar die Nummer 9. Einiges hat er ja schon gelernt. Vor allem hat er gelernt, dass er so sein darf wie er ist. Das macht ihn immer wieder mutig ab und zu mal auf den Putz zu hauen. Immer wieder auch mal etwas dummes von sich zu geben und es anschließend nicht zu bereuen.
😀
„Dadurch spüren sie die Urlebendigkeit, die dem Leben innewohnt, wenn es sich komplett an die Erscheinung seiner selbst hingibt…
Eine große Aufgabe!
Ja, das trifft und ist jetzt auch nochmal ein direkter Fingerzeig auf das ‚Wie‘ – das für mich echt schwer zu verwirklichen ist. Irgendwas will da nicht hin
Dachte ja, ich finde mich in diesen Beschreibungen nicht wieder – vieles fühlt sich so vermischt an und ich tendiere da auch zu dem, was Antje schreibt; und auch mit deinem Kommentar dazu geh ich total in Resonanz. Aber das was du zur 9 schreibst, trifft doch sehr und verstärkt grade einfach nochmal, was ich in mir ja auch spüre …
Dann fühl ich mal weiter …
… bzw fange an, mich mal weiter wahrnehmen zu lernen – ja, es fühlt sich immer noch an, als stehe ich da vor etwas (mir, haha) und überlege, wie ich das jetzt am besten angehe mit dem Erkunden …
Naja, Katrin, wenn Du wirklich die 9er Persönlichkeit in Dir entdeckst, dann weiche der Intensität Deiner Empfindungen nicht aus. Jede Relativierung ist ein Absehen davon und ein „lieber verschwinden im diffusen Nebel“. Es ist eine Vermeidung. Unsere Vermeidungen sind es, die sich in dem, was wir erfahren, spiegeln und die Probleme verursachen …
Ja nun – ich glaube nicht, dass ich absichtlich vermeide, denn es geht hier wirklich an die Lebensgrenze. Vielleicht geht es doch woanders weiter, hier fühlt es sich grade nach Endpunkt an …
Alle, die durch die Urwunde schauen, und das sind die meisten Menschen, weichen aus. Entweder der Intensität der Emotionen, oder der Angst, oder der Scham oder dem Schmerz usw. Das geht gar nicht anders, bis da etwas auf sich aufmerksam wird. Und daran hat niemand Schuld, weil das niemand macht. Wir sind so lange diesen Kräften ausgeliefert, bis wir auf sie aufmerksam werden. Wieder der alte Vergleich: Solange Du nicht merkst, dass Du einen Stein im Schuh hast, läufst Du damit herum. Bis Dir auffällt, dass er weh tut. Alles Gute; Katrin, wo auch immer es Dich hinzieht. Herzlich Nicole
… ja. Ich weiß. Das, was mir hier jetzt zum Schluss nochmal passiert ist, TUT weh. Es führt direkt in die Isolation. Die innere und äußere.
Danke, Nicole! Auch für Deine beiden schönen letzten Beiträge. Ich grüße Dich herzlich. Frohe Weihnachten zu Dir. Katrin
Liebe Nicole, ich freue mich sehr auf Dein neues Buch. Du schreibst ja von der „Persönlichkeit“, z.Bsp. bei Typ 9. Ist nicht die Persönlichkeit das Falsche, was sich über den natürlichen Menschen wie ein Filter legt? Würde es nicht für alle Enneagramm Typen (Persönlichkeiten) hilfreich sein, wenn man sich einfach als Wunder wahrnimmt, was keine Ahnung über sich und den Rest der Welt hat und sich seines Daseins erfreuen?
Natürlich, Nina, das wäre das Einfachste. Doch wir wissen ja alle, dass das nicht so einfach ist, sonst würde es ja jeder so sehen. 😉 Manchmal ist es hilfreich sich die Persönlichkeit genau anzusehen, um überhaupt mitzukriegen, wo sie sich überall einmischt und die Entdeckung des einfachen Daseins, das nichts braucht, um sich wohlzufühlen, verhindert.
Für mich war es so. Erst als ich die geistige Struktur entdeckt habe, durch die ich in die Welt sehe, wurde ich auf mich aufmerksam. Auf das einfache Dasein, das immer zuerst da ist. Vorher hab ich noch nicht mal gesehen, dass da eine Persönlichkeit denkt, fühlt, spricht, handelt, die immer alles bewertet, vergleicht und dem Leiden, das daraus entsteht, entkommen will… Es gibt viele Wege in die Klarheit und jeder geht den, zu dem er sich am meisten hingezogen fühlt.
Verstehe, das macht absolut Sinn. Dankeschön.
Ich bin eine 9 und lebe seit Jahren mit einer alkoholkranken Frau zusammen, eine denkbar ungünstige Konstellation, die mich den Verlust meiner eigenen Bedürfnisse deutlicher spüren lässt, was mich sogar zeitweise depressiv werden lässt.
Ja, Frank. Grenzen setzen ist nie leicht für die 9er Fixierungen. Die Frage ist, wann spürst Du den Verlust Deiner eigenen Bedürfnisse
deutlich genug. Wie intensiv muss es werden? … LG Nicole