Lass Dich fließen - anhören
Während ich das schreibe, habe ich noch Kopfschmerzen. Ich liege schon den halben Tag im Bett. Die Aspirin hat nichts geholfen, es pocht hinter den Schläfen. Es tut weh. Immer, wenn es weh tut, werde ich traurig. Ich fühle die Tränen über meine Wangen fließen. Schmecke ihr Salz. Ich fühle in diesen schmerzhaften Fluss hinein, der hinter meiner Brust pulsiert.
Die Kraftlosigkeit und der körperliche Schmerz schlucken die Zukunft. Sie fällt in sie hinein und mit ihr alle schönen Aussichten. Jetzt geht es nur um diese Tränen und um diesen Schmerz hinter den Schläfen.
Jede Frage nach dem Warum, erzeugt einen neuen Stich. Alles, was ich will, ist Stille. Schlafen. Ruhe. In dieser Ruhe versickern die Tränen wie Wasser im Wüstensand. Sie reichen nicht an den Rand der Stille. Der Schmerz hinter den Augen, der Stirn und den Schläfen wird weicher, friedvoller.
In die Erfahrung eintauchen
Nichts als das. Ich bin nichts als das, gerade jetzt. Keine Fragen nach dem Woher und Wohin und Wozu? Keine Fragen nach dem Grund von irgendetwas. Nur Dasein in der Stille dieses Schmerzes. Mehr will das Leben nicht. Es geht niemals um gut oder schlecht. Das ist das große unendliche Geheimnis. Die wahnsinnige Entdeckung.
Ganz einzutauchen in diese Erfahrung, wie sie gerade eben ist und ihr die Stille zu schenken. Sie vor Fragen bewahren, sich nicht mit Gedanken von ihr abwenden. Das ist die Hingabe an mich selbst als diese Lebendigkeit. Die sich auch als Schmerz äußert, auch als Traurigkeit, die keinen Grund braucht, den ich erkennen will. Jede nötige Information liegt in diesem Augenblick. Es pocht. Es sticht, es drückt die Lider zu. Es will schlafen. Ausruhen, nichts tun, nichts denken, nichts sein.
Ist es nicht immer so? Wir wissen doch immer, was wir gerade wollen oder nicht wollen. Und wenn wir es nicht wissen, dann liegt es daran, dass uns etwas daran hindert, es wahrzunehmen. Irgendwelche Ideen davon, was wir denken und fühlen sollten, was besser wäre, als das, was wir eben gerade empfinden.
Hier hat der Verstand nichts zu tun …
Dann schaltet sich der Verstand ein, mit seinen Theorien und seinen kurzsichtigen Schlussfolgerungen. Er führt uns damit nur in die Irre, denn ihm fehlt etwas ganz Entscheidendes. Ihm fehlt das Herz der Offenheit für diesen Augenblick. Hier will er sich nicht aufhalten, denn hier hat er nichts zu tun.
Mein Kopfschmerz braucht ihn nicht. Nur die Angst braucht ihn, die wissen will, was los ist, und wovor er sich schützen soll, was zu tun ist, um in Zukunft dieses Angstgefühl zu vermeiden, diesen Schmerz, die Hilflosigkeit …
Sich ganz einzulassen auf sich selbst heißt ein leeres Feld zu sein, das jeden Regen, der in seine Erde eindringt, fühlt und die Frucht in Empfang nimmt, die sich durch ihn ergibt. Auch Schmerz, auch Erschöpfung, auch Kraftlosigkeit, alles, was da kommt…
Nichts bleibt „draußen“ …
Alles zu erfahren ist der einzige Weg, lebendig zu sein und das Leben auszuerleben. Nichts zurückzulassen, genau hinzuspüren, genau hinzusehen, ganz klar zu sein für alle Regungen, die sich in dieser Atmosphäre innerer Offenheit offenbaren. Von hier aus geht die Liebe in alles über, was in der Erfahrung erscheint.
Von hier aus. Von Dir aus. Von dem, was Dir am allernächsten ist. Von diesem Gefühl jetzt. Von dieser Empfindung. Lass sie fraglos sein. Und sei ganz wach für sie und Du weißt auf eine neue Art von Dir und der Welt.
Dieses Wissen ist inneres Wissen, ist das einzige Wissen, das Dir den Weg weißt. Es lässt Dich ganz in Dich selbst einziehen und klar erkennen, dass niemand, außer Dir selbst, wissen kann, was mit Dir ist. Du wirst zu Deiner einzigen Erfahrungswelt in der Offenheit Deines Innenraumes, der sich zum Außenraum wandelt, je tiefer Du in ihn einsinkst. Innenraum – Außenraum – Dasein.
Die Stunden allein mit uns selbst …
Ich bin kraftlos und spüre dennoch den Drang mich durch die Kraftlosigkeit hindurch auszudrücken. Ich gehe dem Drang nach. Bis er sich erschöpft hat, bis er sich ausgesprochen hat. Bis das nächste geschieht, was ich nicht wissen kann. Niemand weiß etwas. Das erfahren wir zutiefst in den Stunden mit uns selbst allein.
In den Stunden ohne Zukunft und ohne Vergangenheit. In diesen Stunden, ohne die Möglichkeit uns auszuweichen, in denen uns das Leben anhalten lässt, warum auch immer. Dann halten wir an. Und wenn es weiter geht, dann geht es weiter. Niemand entscheidet das. Niemand macht das.
Du fühlst es, wie das Feld, das offen da liegt und es in sich einregnen lässt … Lass die Impulse durch, lass die Gefühle durch, sie sind der Motor für die lebendige Wahrhaftigkeit, die sich in der wachen Präsenz des Daseins erfährt. Bedingungslos und auch gnadenlos. Sei nicht zu feige für dieses Leben, für Deine echten Gefühle, für Deine wahren Empfindungen. Halt nichts zurück, halt nichts fest, spür einfach … fühle … sei … lass Dich fließen …
Einfach Danke, liebe Nicole.
Beatrice ❤️
„Dem Verstand fehlt das Herz der Offenheit für diesen Augenblick.“ Wunderschön gesagt in einem insgesamt wunderbaren Text.
Vielen Dank für deine Worte.
Ich nehme es auch so wahr, dass ich mich und das Leben umso besser und tiefer fließen lassen kann, je mehr ich in der Lage bin, mit meinen Gefühlen im Körper zu SEIN.
Das ist öfter soo unangenehm, aber es geht so tief, und immer tiefer..🙏❤️
Wenn es noch unangenehm ist, Susanne, dann verringere die Distanz noch mehr. Fühle den Abdruck des Gefühls im Körper, als wolltest Du mit ihm verschmelzen. Bis Du gar nicht mehr weißt, was Du da fühlst. Das, was vorher noch Schmerz war, ist jetzt nicht mehr sagbar. Ein Druck? Ein Brennen? Ein intensives Pulsieren? Damit sein heißt es nicht mehr zu wissen, nur noch wahrnehmen wie es sich anfühlt … Herzlich Nicole
Genau so, danke liebe Nicole,… für die Erinnerung.
Fühle ein tiefes Berührt sein.
Berührtsein ist so gedankenlos. Das mag ich daran, es ist so sprachlos, nur fühlbar. Es verbindet, was nicht verbunden werden muss. Es hebt das Dasein so für sich selbst an. Ich bin sehr gerne berührt, weil darin keine Fragen mehr auftauchen. Es macht alles klar. Liebe Grüße zu Dir, Antje.
Wie schön, wieder was von dir zu lesen, Nicole!
Ich habe manchmal Stechen in der Gegend, wo ich die Leber vermute. Sofort kommen die Gedanken, dass es mit dem Weinkonsum zusammen hängt. Was wird wohl das „Sein“ davon halten? Ich setzte mich zum Meditieren hin und erlebe so einiges. Gedanken dazu: wäre meine Zirbeldrüse ohne den Wein schon viel klarer und ich würde sogar mehr spüren? Womöglich „Erleuchtung“? -:))
Heute war Sonne und ich hatte frei. Nichts gemacht außer spazieren, Bäume umarmen, den Wellengang im inneren und äußeren Körper zu spüren. Essen. Einkaufen. Meditieren. Früher hätte mich mein eigener privater Diktator in Stücke zerrissen für so einen Tag. Heute beobachte ich das leichte Unbehagen (wie, nichts geleistet?) und beobachte es halt. Bin immer noch nicht unter einer Brücke gelandet, trotz aller Ängste.
Das Jetzt und das unmittelbare Erleben ist für mich keine angelesene Theorie mehr.
Gegen deine Kopfschmerzen hätte ich einige Punkte bearbeiten können. Hat schon vielen Menschen geholfen. Diese Punkte kennst du wahrscheinlich selber. Man kann und muss Schmerzen akzeptieren, wenn man sie nicht weg machen kann. Aber wenn es geht? Warum unbedingt aushalten?
Danke, liebe Nicole.
Ich fühle mit Dir, so gings mir auch gerade und schwupps, schon ist es vorbei, naja, war schon auch nicht schön. Die Zukunftslosigkeit war das, was mir intensiv begegnet ist. Der Dimmer, um das Licht im JETZT heller zu machen.
„Zukunftslosigkeit als Dimmer, um das Licht im Jetzt heller zu machen.“ Hmmm. Das lass ich mir gerade auf der Zunge zergehen, Sabine. 🙂 Merci
Guten Morgen! Meine letzten Sätze können als belehrend empfunden werden. War keine Absicht. Sorry und gute Besserung, falls die Schmerzen noch da sind.
Natalja … lass Dich einfach fließen 😉 … Es ist doch sowieso alles ein Selbstgespräch … die Zweifel fühlst nur Du. Sie sind wie Treibholz in Deinem Fluss, das sich hier und dort verhakt. Es gibt keinen Grund sich lange dabei aufzuhalten. LG Nicole
schon das Vorwort hat mich voll getroffen…
Danke… 🙏