Konflikt und Bewusstsein - anhören

von Nicole Paskow

 

Konflikte entstehen, wenn wir glauben, dass der andere etwas auf eine Weise gesagt hat, die wir als negativ für uns interpretieren. Eine Meinungsverschiedenheit kann schnell bedrohlich wirken, wenn ein Mensch unbewusst glaubt, dass er nicht richtig liegt. Dann wirkt die gegenteilige Meinung des Gegenübers bereits wie ein Angriff, der abgewehrt werden muss. Das unbewusste Gefühl falsch zu liegen, ist dann nämlich unerträglich. Wir wehren dabei diese Unerträglichkeit ab, nicht etwa die Meinung des anderen.

Wir glauben genau zu verstehen, was der andere sagt, und nach diesem Glauben wird gedacht und gehandelt … Bis wir (vielleicht) irgendwann bemerken, dass wir immer nur auf unsere internen Glaubenssysteme reagieren und nicht auf das, was tatsächlich geschieht. Jeder Mensch tut das. Insofern sind wir auch immer nur in unsere internen Konflikte verstrickt und niemals tatsächlich mit einem anderen Menschen.

Wir begegnen, für gewöhnlich, im anderen immer nur unseren Glaubenssystemen. Je nach Interpretation der Kommunikation sind wir in Harmonie oder in Konflikt mit Menschen. Diese Problematik löst sich von selbst, wenn klar wird, worauf wir in Wirklichkeit reagieren.

Interne Glaubenssysteme

Wir reagieren auf das, was wir glauben wahrzunehmen, und nicht auf das, was tatsächlich wahrgenommen wird. Ein Glaube setzt sich aus Gedanken zusammen. Manchmal sind sie so verklebt, dass sie nur als Impuls oder Gefühl sichtbar werden. Sie sind so internalisiert, dass sie nicht mehr zu Bewusstsein kommen. Sie sind zu einem Automatismus verschmolzen.

Ein Automatismus ist etwas, das sich völlig ungesehen abspielt. Es ist niemand da, der ihn bewusst mitbekommt. Er ist wie eine unsichtbare Armee, die den Auftrag hat, das System unter allen Umständen zu schützen. Je nach verinnerlichtem Glauben „schießen“ wir sofort zurück, wenn wir glauben beleidigt, übervorteilt, benachteiligt, kritisiert oder ungerecht behandelt worden zu sein.

Oder wenn wir glauben, dass andere so behandelt werden. Was wir nicht sehen, ist, dass jeder Mensch nach seinem Glauben denkt, fühlt, spricht und handelt und in Wirklichkeit niemals etwas gegen einen anderen gerichtet ist, sondern immer nur gegen sich selbst. Der Ursprung des Konflikts liegt immer in uns selbst. Hier beginnt jeder Krieg.

Wie kommen wir da raus? Im Grunde gar nicht, bis wir etwas bemerken. So wie den berühmten Stein im Schuh. Wir können kilometerweit damit gehen, bis er irgendwann so sehr schmerzt, dass wir mal nachsehen und etwas unternehmen: Den Stein aus dem Schuh entfernen. Das klingt einfach, ist es aber nicht, weil wir oft jahrzehntelang nicht bemerken, wo der Schuh eigentlich drückt.

Wir können nicht genau hinsehen, weil uns Kräfte davon abhalten, die uns vor der direkten Konfrontation mit den unliebsamen Gefühlen, abhalten wollen. Und damit vor der direkten Konfrontation mit unseren Sichtweisen. Denn es sind ausschließlich Sichtweisen, die bestimmen, was wir denken, fühlen und tun. Es sind niemals Tatsachen, Wahrheiten oder Realitäten. Sowas gibt es nicht.

Die Absolutheit der Relativität

Jeder Mensch sieht die Welt auf seine Weise, und diese individuelle Sichtweise bestimmt alles, was er wahrnimmt. Das, was er durch diese Brille wahrnimmt, bestimmt sein Handeln. Wenn wir das verstehen, erkennen wir die Absolutheit der Relativität.

Für das Ich ist es oft schmerzhaft, zu erkennen, wie relativ es ist und dass seine Ansichten nicht so absolut sind, wie es immer annimmt. „Es ist doch so!“, „So fühle ich es doch!“ „Ich habe es genau gespürt!“ Nein … so ist es nicht. So siehst du es nur und so fühlst du es nur, aber das heißt nicht, dass es für alle und jeden genau so gilt und auch nicht, dass es im Zusammenhang mit einem anderen wahr ist.

Alles, was du wahrnimmst und beurteilst, interpretierst du nach deinem internen Glauben. Deshalb ist alles, was du wahrnimmst, ausschließlich ein Hinweis auf deine Sichtweise und keine Wahrheit über einen anderen oder etwas. Menschen sitzen beispielsweise gerne zusammen und sprechen über andere Menschen und deren Art, Lebensweise oder Weltbild. Dabei tauschen sie nicht etwa Wahrheiten über die anderen Menschen aus, sondern nur die eigene Sichtweise auf jemanden oder etwas. Sie erfahren etwas über ihre eigene Sichtweise. Eine sehr indirekte Form der Kommunikation, aber sehr verbreitet.

Der Verlust von Orientierung

Wird uns die Relativität unserer eigenen Ansichten und die aller anderen Menschen klar, ist das Gefühl der Sinnlosigkeit nicht weit, denn wir verlieren die Orientierung. Wenn wir uns weder an unseren eigenen Meinungen festhalten können noch an denen der anderen, fallen wir in eine Richtungslosigkeit, die Angst macht. Dann suchen wir wieder nach einem Halt, einer Idee, einem Konzept … einer Sichtweise, mit der wir uns identifizieren können und die uns wieder ein beruhigendes Weltempfinden schenkt, in dem wir uns aufhalten können.

Ein neues Wissen um uns selbst und die Dinge. Oder wir halten es eine Weile im Niemandsland aus, denn es gibt kein „Nichts“, das existiert. Wir können uns also nicht in einem „Nichts“ verlieren, weil es gar kein „Nichts“ gibt. Es passiert immer irgendetwas. Und solange wir nicht wissen, wer wir sind und wo es langgeht, machen wir einfach nichts und warten ab, bis wieder etwas geschieht was, früher oder später, immer passiert.

Oft ist das Niemandsland jedoch sehr fruchtbar. Es kann uns zeigen, wenn wir das Glück haben, uns mit Ruhe darauf einlassen zu können, dass es kein Konzept braucht, um uns gut in der Welt zu bewegen. Wir brauchen weder ein Weltbild noch ein Selbstbild.

Wir brauchen nichts scheinbar „Greifbares“, um zu sein

Das kann offenbar werden, wenn wir in Momenten des Strauchelns, der Unsicherheit, des Nichtwissens nicht sofort wieder nach dem nächsten Strohhalm des Wissens greifen, um uns zu beruhigen. Es sind ja nur wieder geistige Konzepte, auf die wir bauen, und die, wie alles andere auch, relativ sind. Also nur zeitweilig gültige Stufen auf einer imaginären Leiter ins Nirgendwo.

Hier wirkt das gleiche Prinzip, wie bei einer Panikattacke. Lassen wir uns von ihr mitreißen, geraten wir außer uns und in Todesangst, weil uns die Fliehkraft der Angst so an die innere Peripherie treibt, dass wir jegliche Kontrolle verlieren.

Das kann bis zur Ohnmacht führen, weil irgendwann der Bewusstseinsfaden reißt und wir „ausgeschaltet“ werden. Doch wissen wir, womit wir es zu tun haben (weil wir genug Erfahrungen mit Angst gesammelt haben), dann wissen wir, dass es nur einer Konzentration auf einen inneren Punkt bedarf und eines längeren und bewussteren Ausatems, um uns wieder zu zentrieren und damit zu beruhigen.

Dann formen wir uns zum stillen Auge des Sturms, der als Gedankenwirbel um die Stille herum tobt. Diese Ruhe schenkt die Kraft, die alle Aufruhr auch wieder zum Erliegen bringt. Der Sturm legt sich nur deshalb, weil wir ihn nicht mehr beachten.

Wir sind unschuldig und völlig naiv

Und das ist unsere Wahrheit: Das, was wir sind, ist so unschuldig, dass es sich jede konzeptuelle Brille aufsetzen kann. Es ist absolut beeindruckbar, es ist absolut formbar, es ist absolut naiv. Sobald Wahrnehmung möglich ist, wird sie geprägt und nimmt durch diesen geistigen Stempel die Welt wahr. Um die Welt zu erfahren, wie sie ist, ist es nötig, sowohl auf die Brille aufmerksam zu werden, durch die wir sehen, als auch auf die Natur von Wahrnehmung.

Ist sie auf sich selbst gerichtet, erkennt sie jedes Konzept als eine Art Filter, durch den gesehen wird. Und damit erkennt sie die Relativität aller Konzepte. Hiermit lösen sie sich von selbst in Luft auf, und übrig bleibt nur das, was ohne Konzept ist. Und das kann sich überall bewegen, auch in Konzepten. Aber immer im Wissen um ihre Relativität und somit nicht mehr unter dem Zwang stehend, sich zu verdichten.

Die Leichtigkeit des Seins zeigt sich im Erkennen dessen, dass wir ohne Sinn und Grund existieren können, ohne Orientierung und Plan. Sie zeigt sich in diesem Augenblick, der dann als er selbst deutlich wird, wenn klar wird, dass jeder Gedanke machtlos ist, wenn ihn keiner glaubt und ernst nimmt – sobald er also fallen gelassen wird von der Aufmerksamkeit.

Wir brauchen nichts 

Wir brauchen keinen einzigen Gedanken. Keinen einzigen(!), um da zu sein und sehr gut zu leben. Eigentlich merken wir erst durch die Erfahrung des Gedanken Fallenlassens, wie getragen wir sind und in jedem Moment freigelassen und gleichzeitig gehalten und geführt. Ist das entdeckt, kann es gar nicht zu internen Konflikten kommen, weil sich gar kein auf sich selbst bestehender Gedanke mehr formen und halten kann.

Ich kann nur appellieren: Erfahre alles, was Du erfährst, so direkt und ausweglos wie möglich. Nur das schult Deine Wahrnehmung. Wenn du also leidest, richte dich nicht darin ein, halte nicht aus. Leide vollkommen und kompromisslos, bis du jede Information, die für Dich darin liegt, kennst. Auch wenn Du dafür den gleichen Film 1000-mal anschauen musst. Bis dir ganz direkt auffällt, wie sehr du – an was auch immer – leidest. Diese Auffälligkeit führt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Entstehung des Leidens an sich. Sie führt zu anderen Handlungen als zuvor. Und eventuell sogar zu einer ganz neuen Sichtweise:

Indem sich die Aufmerksamkeit irgendwann auf die Wahrnehmung selbst richtet. Dann zeigt sich ihre Transparenz und gleichzeitig die Transparenz alles Wahrgenommenen. Ist die Wahrnehmung transparent genug für sich selbst, wird der Raum der Erkenntnis sichtbar, da sie nicht mehr an dem Wahrgenommenen hängen bleibt und geradewegs ausgerichtet ist auf DAS. Der Schleier hebt sich: Du kannst über Dein persönliches Leiden hinwegsehen. Direkt in die Ewigkeit hinein und aus der Ewigkeit heraus.

Die völlige Konzeptlosigkeit. Unbeschreibbar, wortlos, so intim und persönlich, dass niemand jemals darüber sprechen können wird. Konflikte gibt’s hier nicht. Hat es noch nie gegeben. Wird es auch nie geben.

Hab unbedingtes Vertrauen in das, was du unausweichlich schon bist. Gib dich ganz an das hin, was du jetzt vielleicht nur ahnen kannst und wisse: Du wirst erhört. Das ist der Weg des Vertrauens in die Liebe, die zum gegebenen Zeitpunkt alle Wege in sich zusammenfallen lässt und Dich in Dein unbedingtes und zeitloses Sosein entlässt. 

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