Was Frieden ist und was er nicht ist - anhören
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Wir suchen Frieden oft dort, wo er nicht ist – in der Zukunft, in Zielen, in einem besseren Ich. Doch wirklicher Frieden entsteht nicht durch Veränderung, sondern durch ein Ankommen im Jetzt.
Dieser Text ist eine Einladung, still zu werden. Ihn nicht nur zu lesen, sondern zu spüren – dort, wo alles Leben tatsächlich geschieht: in diesem Augenblick.
Die Flucht vor dem Jetzt
Es ist erstaunlich, wie schwer es uns fällt, einfach bei dem zu bleiben, was gerade da ist. Besonders, wenn das, was da ist, sich unangenehm anfühlt. Unser ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, etwas zu verändern, zu verbessern, zu erreichen.
Schon früh lernen wir, dass irgendwo ein besserer Zustand auf uns wartet – einer, in dem endlich alles stimmt. Die Werbung, die Selbstoptimierung, selbst viele Formen der Spiritualität nähren diese Sehnsucht. Wenn ich erfolgreicher bin, dann. Wenn ich liebe, dann. Wenn ich Ruhe finde, dann. Immer wartet da ein dann, das den gegenwärtigen Moment entwertet.
Wir leben in der Hoffnung, dass sich das Leben eines Tages erfüllt. Doch solange wir glauben, dass Frieden erst später möglich ist, bleibt jeder Augenblick nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zu einem erträumten „irgendwann“.
Wo Frieden wirklich beginnt
Frieden lässt sich nicht erreichen. Er beginnt dort, wo das Streben endet.
Er entsteht, wenn wir die Flucht vor dem Unangenehmen aufgeben und uns erlauben, in der Unruhe zu verweilen – ohne Absicht, ohne Ziel.
Das ist kein romantischer Zustand, sondern ein stilles Erkennen:
Alles, was in mir auftaucht – Angst, Wut, Zweifel, Leere – will nur da sein dürfen. Es verlangt nicht nach einer Lösung, sondern nach Raum.
Wenn ich mich still neben meine Einsamkeit setze, verliert sie ihre Schärfe. Wenn ich meine Angst einfach spüre, ohne sie zu kommentieren, wird sie durchlässig. Sie muss nichts bedeuten. Sie darf einfach sein.
Das Ende des inneren Kampfes
Dieses Dürfen verändert alles. Es öffnet eine Tiefe, die jenseits des Wohlgefühls liegt.
Denn in Wahrheit will das Leben nicht, dass wir uns erlösen. Es will, dass wir anwesend sind. Dass wir nicht länger kämpfen gegen das, was ohnehin geschieht.
Gerade in der Spiritualität wird oft vom Erwachen gesprochen – als wäre es der Moment, an dem das Leiden verschwindet. Doch Erwachen heißt nicht, dass Angst oder Schmerz aufhören. Es heißt, dass wir aus dem Traum erwachen, sie müssten je verschwinden.
Wirkliches Erwachen ist ein Einverständnis mit dem, was ist.
Es ist die Entdeckung, dass nichts von dem, was in uns auftaucht, gegen uns gerichtet ist.
Dunkelheit und Licht gehören zusammen
Ich erinnere mich an Momente, in denen ich einfach sein durfte – ohne Ratschläge, ohne Erwartungen. In solchen Augenblicken fiel jede Anstrengung ab. Etwas in mir entspannte sich, weil es sich gesehen fühlte.
Genauso möchte das Leben selbst gesehen werden: in all seinen Formen, hell und dunkel zugleich. Es gibt keine inneren Dämonen, solange niemand die Dunkelheit abwehrt.
Dunkelheit ist kein Feind des Lichts, sie ist sein Hintergrund.
Das Licht, das beides sieht, ist weder hell noch dunkel – es ist Bewusstsein selbst.
Jener stille Raum, der alles trägt und doch unberührt bleibt.
Ruhen im Unbekannten
Diesen Raum müssen wir nicht suchen. Er ist längst da.
Wenn er erkannt ist, verändert sich das Leben nicht plötzlich. Der Alltag bleibt, die Bewegungen bleiben, die Gefühle kommen und gehen. Aber etwas in uns hört auf, sich dagegenzustellen.
Es gibt kein Paradies, das auf uns wartet, kein endgültiges Ankommen.
Es gibt nur dieses tiefe Einlassen auf das, was jetzt geschieht – Zweifel, Unwohlsein, Nichtwissen ebenso wie Freude, Lust und Energie.
Und mitten darin etwas, das trägt. Etwas, das sich nicht benennen lässt, aber fühlbar ist. Sicherheit gibt es nicht. Kein Rezept, kein Wissen, das uns vor der Unsicherheit des Lebens schützt.
Doch es gibt ein Ruhen in dem, was sich nicht greifen lässt – ein stilles Vertrauen, das nicht auf Beweisen beruht. Dieses Vertrauen ist kein Glaube, sondern ein Erkennen:
Ich bin hier. Ich werde gelebt.
Das Einverständnis mit dem Leben
Ich atme, ich fühle, ich handle. Und in diesem einfachen Geschehen ist Frieden.
Das liegt nicht daran, dass das Leben leicht geworden wäre, sondern weil der Widerstand aufgehört hat.
Ich will nichts mehr an mir ändern. Ich will nichts anderes fühlen als das, was gerade da ist. Das ist Frieden.
In diesem Frieden öffnet sich der Horizont. Das Leben wird weiter, tiefer, echter.
Ich beschränke mich nicht mehr auf das Helle, sondern nehme auch das Dunkle als Teil des Ganzen.
Und plötzlich wird der Atem frei, leicht, ohne das Gewicht einer Zukunft, die besser werden muss. Ich bin hier. So, wie ich bin. Jetzt.
Und das genügt.
***
In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.
Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.

Liebe Nicole,
Danke für die stille Post im lauten Zug nach Sylt.
Und eine wunderbare Idee mit der Möglichkeit sich untereinander zu vernetzen.
Nordische Grüße zu Dir und allen,
Herz Beatrice
Ein wunderschöner sehr tiefgehende Text, der mich sehr berührt.
Es tauchen Erinnerungen auf, in der ich (der Johannes) mich dagegen gewehrt habe, dass ich immer wieder die gleichen Fehler mache, die zu meinem Unglück und zu den immer gleichen Schwierigkeiten führen. Ich habe mich angestrengt, aus diesen Fehlern zu lernen und immer wieder neu anzufangen. Es wurde besser – oder auch nicht. Diese Anstrengung darf auch gesehen werden ohne Identifikation mit dem Ergebnis, – dass der Johannes gerne als „glücklich sein“ für sich in Anspruch nimmt.
Ich erinnere mich an meine großen Anstrengungen wach zu bleiben. Das Geplapper in meinem Verstand durch Musik hören zu überlagern, durch stundenlange Wanderungen in der Natur in der Nacht. War das notwendig? – es war einfach so.
Ich erinnere mich auch an einen Bericht über Nisargadatta. Nisargadatta war Zigarettenhändler. Er verkaufte diese indischen Beedies. Er hat auch selber geraucht. Von seinen Schülern würde er gefragt, warum er das Rauchen nicht aufgibt. Er hat geantwortet: „mein Körper hat Gewohnheiten ich werde in nichts eingreifen.“
Später in seinem Leben bekam Nisargadatta Kehlkopfkrebs. Er hatte extreme Schmerzen. Seine Schüler wollten ihn dazu bewegen, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er hat auch dieses abgelehnt. Er ist dann wahrscheinlich an einer Krebserkrankung gestorben.
Ob dieser Bericht wirklich so stimmt, wie ich ihn in Erinnerung habe, weiß ich nicht. Mich berührt nur die Frage, die ich mir stelle: wie hätte ich gehandelt, wenn ich einsehe, dass Zigarettenrauchen mir schädlich sein kann. Greife ich dann ein oder sehe ich nur das was jetzt ist und dass mein Körper einfach das Nikotin braucht?
Vielleicht kann auch einfach gesehen werden, dass jetzt ein Widerspruch ist zwischen Rauchen und aufhören zu rauchen. Ich sehe, dass dieser Widerspruch mich beschäftigt und vielleicht dazu veranlasst etwas in meinem Leben zu ändern. Wenn ich dann aufhöre zu rauchen und trotzdem krank werde, dann wird auch das gesehen, ohne Angst und ohne Schuldzuweisung. Wenn ich nicht aufhöre zu rauchen und dann die körperlichen Beschwerden und Krankheiten erfahren muss, werde ich dann medizinische Hilfe in Anspruch nehmen?
So wie ich das sehe, gehören auch Anstrengung, Erfolg und Misserfolg zu meinem Leben. Die Anstrengung, die Wut, die Enttäuschung das Glücklichsein der Erfolg alles gehört zu meinem Leben. In der Stille wird das alles gesehen.
Lieber Johannes,
was Du beschreibst, hat eine stille Konsequenz: Du schaust das Geschehen in Deinem Leben an, ohne davor zurückzuweichen. Auch Deine früheren Anstrengungen bekommen hier einen Platz. Sie waren kein Irrtum und kein „Verpasstes“. Sie waren Ausdruck dessen, wie Bewusstsein sich damals durch Dich bewegt hat. Punkt. Mehr Bewertung braucht es nicht.
Dein Beispiel mit Nisargadatta ist treffend – gar nicht mal wegen der Frage „richtig oder falsch“, sondern wegen der radikalen Klarheit, aus der er gehandelt hat. Er hat das, was war, vollständig gesehen. Ob der Bericht historisch exakt ist, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, was Dich daran berührt: diese völlige Hingabe an das, was im Moment wahr ist.
Das Leben zeigt Dir manchmal Widersprüche: Rauchen und Aufhören. Dranbleiben und Loslassen. Anstrengung und Erschöpfung. Diese Kräfte existieren gleichzeitig, und genau daraus entsteht Bewegung. Du musst sie nicht auflösen. Sie lösen sich, wenn sie sich vollständig zeigen durften.
Die Frage, ob eingegriffen wird oder nicht, ist letztlich dieselbe Dynamik: Das Leben greift durch Dich ein – oder es greift durch Dich nicht ein. Beide Formen sind Ausdruck derselben Quelle. Die Angst entsteht erst, wenn der Verstand glaubt, er müsse die richtige Wahl treffen, um ein bestimmtes Ergebnis zu garantieren.
Was Du jetzt beschreibst, zeigt eine Reife, die leise wirkt:
Du erkennst, dass all diese Bewegungen – Anstrengung, Scheitern, Wiederaufstehen, Wut, Glück, Müdigkeit – keine Störungen sind. Sie sind das Material, aus dem Deine Erfahrung gemacht ist. Sie gehören zu Deinem Leben wie Atemzüge.
Die Stille hinter allem lehnt keinen einzigen dieser Aspekte ab. Sie hält nichts fest und verwirft nichts. In diesem Raum bekommen die Fragen ihre Schärfe, aber sie verlieren ihren Druck.
Und genau das spürt man in Deinen Zeilen.
Herzlich,
Nicole
Danke Dir, liebe Beatrice, für Deine Rückmeldung!:-) Ja, bin dran, bin dran an der Vernetzungsidee! 😀 LG Nicole
Liebe Nicole,
vielen Dank für Deine berührende Wortkunst.
Es ist jedesmal ein Erlebnis, wie Du meine Gedanken und Empfindungen in so eindrucksvolle Worte kleidest und mich damit immer wieder ein Stück näher zu mir selbst bringst. 🙂
Es wird ja mitunter gesagt, dass es kein Erwachen ist, sondern ein Erinnern – an das was bereits in uns ist.
Danke für Dein Erinnern, dass das, was in mir ist, nicht verbessert, verändert oder korrigiert werden muss, sondern „nur“ gelebt.
Der Schlüssel: Let it BE – oder, noch besser: Lass es SEIN.
Alles Liebe
Gabriele
Liebe Gabriele,
Dieses „Erinnern“ beschreibt es gut — etwas rückt ins Bewusstsein, das längst da war, aber überlagert von Anstrengung, Bewertungsbewegungen und alten Reflexen.
Ich sehe da bei Dir eine Qualität, die schon lange wirkt: ein feines inneres Lauschen. Wenn dieser Raum frei wird, entfällt der Drang, an sich etwas zu richten. Dann entsteht eine Echtheit, die ohne Ziel auskommt. Das Leben formt sich von innen heraus, ohne dass es kommentiert oder verbessert werden muss.
„Lass es SEIN“ ist kein Motto. Es ist ein innerer Zustand, der sich zeigt, sobald wir aufhören, uns selbst im Weg zu stehen.
Danke für Deine Rückmeldung.
Alles Liebe
Nicole
Liebe Nicole,
jaha, ich habe in den Situationen, wo es mir mal gelang, mich nicht im Widerstand zu verlieren ganz ähnliche Erfahrungen gemacht.
Die größte der Herausforderungen in diesem Kontext ist für mich das „Verstehen wollen“ aufzugeben. Das gelingt mir in schwierigen Situationen bisher nur selten.
Meine Erfahrung ist, immer wenn ich eine Perspektive finde, die mir hilft eine solche Situation tiefer zu verstehen (Sinnhaftigkeit), kann ich besser damit umgehen und auch eher Widerstände loslassen.
Empfinde ich hingegen eine solche Situation as sinnlos, bricht das Leiden aus.
Mich würde es sehr interessieren zu erfahren, wie es Dir gelungen ist, diese Suche nach Sinnhaftigkeit von Schmerz und Enttäuschung einzustellen?
Danke für diese Deine Worte hier, die defintiv Frieden ausstrahlen. Das tut gut!
Sabine
Liebe Sabine,
das Verstehenwollen war für mich lange ein Versuch, das Unkontrollierbare innerlich zu ordnen. Ich habe irgendwann bemerkt, dass diese Suche selbst zum Druck wurde. Der Kopf arbeitet, aber das Erleben verändert sich dadurch kaum.
Der Wendepunkt kam, als ich mir erlaubt habe, das Unklare einfach da zu lassen. Ohne es zu erklären, ohne Bedeutung zu konstruieren. Schmerz bleibt Schmerz, Enttäuschung bleibt Enttäuschung — und trotzdem verliert etwas in mir an Härte, sobald ich nicht mehr an diesem inneren Argumentieren festhalte.
Für mich geht es also weniger um Sinn als um ein direktes Spüren dessen, was gerade da ist. Das schafft die Ruhe, die ich früher in Erklärungen gesucht habe.
Danke für Deine Zeilen.
Herzlich,
Nicole
ja! Die Möglichkeit all die Stimmen in Partitur zu setzen ist zartklingende Wonne aus der Stille Tiefgründigkeit wenngleich in kratzborstiger Vollendung.
Indes mein Ich Pausen los Kopf steht aufgrund mentaler Unterströmungen, hat der absolute Komponist schon längst – unvergesslich – den Notenschlüssel in die Pause, diePräsenz eingraviert. Und ja die Bereitschaft Unbehagen zu fühlen ist bei mir recht mager ausgefallen 😀
@ Hannes
das mit Nisargadatta, der große Weise, der sich zu Tode geraucht hat oder Ramana Maharshi, der auch nicht grad als biodynamische Sixpackfigur in Erscheinung getreten ist, hat mich auch sehr beschäftigt. Wo sind sie denn die absoluten Anhaltspunkte? hab ich mich gefragt?!. . . denn was diese zwei Weisen offenbaren ist ja echt beeindruckend!!! . . . bis ich in einem Herzwärmenden Moment erspähen konnte, dass Freiheit und Liebe wohl einfach sind was sie sind in jedem Zustand, in jedem Augenblick.
Einfach unfassbar für den Verstand.
So bin ich stets auf jede einzelne Stimme gespannt: auf welche Weise sie denn des Lebens Nüsse knackt?! und bedanke mich bei Allen.
ohh soll heißen :
@ J o h a n n e s / sorry