Byron Katies The Work und mein Ansatz - anhören
In meiner aktuellen Artikelreihe hinterfrage ich die Konzepte spiritueller Lehrer und betrachte, inwiefern sie uns wirklich in die Freiheit führen oder ob sie uns unbemerkt in neuen Denkstrukturen gefangen halten. Ein spannendes Beispiel ist The Work von Byron Katie. Ihre Methode hat für viele Menschen befreiend gewirkt, doch ich sehe sie in einem größeren Zusammenhang. Denn für mich stellt sich die Frage: Können wir unsere Gedanken wirklich so lange umdrehen, bis wir aufhören zu leiden? Oder gibt es eine direktere Möglichkeit, in die Freiheit einzutauchen?
Byron Katies Ansatz: Gedanken überprüfen, um Leiden zu beenden
Byron Katie ist bekannt für ihre Methode The Work, die darauf abzielt, leidvolle Gedanken zu entlarven und aufzulösen. Der Prozess basiert auf vier Fragen:
- Ist das wahr?
- Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass es wahr ist?
- Wie reagiere ich, wenn ich diesen Gedanken glaube?
- Wer wäre ich ohne diesen Gedanken?
Nachdem man diese Fragen beantwortet hat, folgt eine „Umkehrung“ des ursprünglichen Gedankens. Man betrachtet das Gegenteil des Gedankens, projiziert ihn auf sich selbst oder auf andere. Dadurch entsteht eine Distanz zum ursprünglichen Glaubenssatz, und oft zeigt sich, dass dieser nicht die absolute Wahrheit ist. Dadurch kann bewusst werden, dass Gedanken nicht fest stehen, sondern veränderlich sind.
Das Ziel ist, den Identifikationsprozess mit belastenden Gedanken aufzulösen. Denn Gedanken sind, so lehrt Katie, nicht die Realität – sie sind Interpretationen. Wer aufhört, den eigenen Interpretationen blind zu glauben, kann Freiheit erfahren.
Wichtiger Punkt: Die Methode kam nach dem Erwachen
Ein entscheidender Punkt, der oft übersehen wird: Byron Katie entwickelte The Work erst nach ihrem Erwachen. Sie hatte nicht zuerst die Methode, mit der sie sich dann befreite. Vielmehr durchlebte sie eine tiefe, spontane Transformation – einen Zustand, in dem sie erkannte, dass alle Gedanken, die Leid verursachen, nicht real sind. Erst aus dieser Klarheit heraus entstand später ihre Methode.
Das bedeutet: The Work kann helfen, Glaubenssätze zu hinterfragen, aber sie ist nicht zwingend der Weg zum Erwachen. Denn Katies eigene Erfahrung zeigt, dass der Durchbruch zur Freiheit nicht durch die Analyse von Gedanken kam, sondern durch eine unmittelbare Erkenntnis ihrer wahren Natur.
Mein Ansatz unterscheidet sich grundlegend von The Work, weil ich nicht versuche, Gedanken einzeln zu untersuchen oder umzukehren. Stattdessen stelle ich die Frage:
Wer oder was nimmt diesen Gedanken überhaupt wahr?
Anstatt sich mit einzelnen Überzeugungen zu beschäftigen, lade ich dazu ein, direkt zu erkennen, dass das, was wir wirklich sind, nicht die Gedanken selbst sind, sondern das Bewusstsein, das sich ihrer gewahr ist.
Viele spirituelle Methoden setzen an der Oberfläche an – sie versuchen, Gedanken zu transformieren oder zu entlarven. Aber wenn wir uns fragen: Wer bin ich eigentlich, wenn ich keine Gedanken denke? – dann öffnet sich eine viel tiefere Dimension.
Wenn deutlich geworden ist, dass das, was „Ich“ ist, das Bewusstsein ist, das sich der Gedanken gewahr ist, kann man erst effektiv mit Techniken arbeiten, die sich mit der Umkehrung von Gedanken beschäftigen bzw. mit der Entlarvung realitätsbildender Gedankenmuster. Davor ist es, als würde man versuchen, alle Knoten in einem Orientteppich aufzuknüpfen – ein mühsames Unterfangen, das scheinbar nie endet.
Denn wenn wir nicht erkennen, dass wir nicht die Gedanken sind, sondern das, was sie wahrnimmt, dann bleiben wir im endlosen Spiel des „richtigen Denkens“ gefangen. Wir werden immer neue Gedankenmuster entdecken, immer wieder neue Geschichten aufdecken, immer wieder neue „Fehler“ in unserer Wahrnehmung finden.
Aber wenn wir zuerst erkennen, wer oder was wir wirklich sind, dann verändert sich der Umgang mit Gedanken radikal. Plötzlich ist es nicht mehr nötig, „schlechte“ Gedanken loszuwerden oder Gedanken durch bessere zu ersetzen. Stattdessen geht es nur noch um Bewusstwerdung: Welche alten Prägungen sind noch aktiv? Welche Gedankenmuster erzeugen eine emotionale Realität, die nicht in Übereinstimmung mit meiner wahren Natur ist? Welche Überzeugungen erscheinen noch real, obwohl sie nur konditionierte Reflexe aus der Vergangenheit sind?
Erst aus dieser Perspektive heraus macht es Sinn, sich mit Gedankenmustern zu beschäftigen. Denn dann geht es nicht mehr darum, an uns „zu arbeiten“ oder uns zu „verbessern“, sondern nur darum, das zu erkennen, was sich ohnehin in unserem Bewusstsein zeigt.
Zwei Wege mit einem gemeinsamen Ziel?
Man könnte sagen, dass The Work und mein Ansatz dasselbe Ziel verfolgen: die Befreiung aus der Identifikation mit leidvollen Gedanken. Doch der Weg dorthin ist unterschiedlich:
- Der kognitive Zugang von Byron Katie
- Wer mit The Work arbeitet, analysiert Gedanken systematisch, prüft ihre Wahrheit und betrachtet alternative Sichtweisen.
- Diese Methode ist hilfreich für Menschen, die gerne strukturiert vorgehen und sich von ihrer eigenen Gedankenwelt faszinieren lassen.
- Sie kann besonders wirkungsvoll sein für Menschen, die noch stark im Verstand verhaftet sind und einen sanften Zugang zur Selbstbefragung suchen.
- Der direkte Zugang über Bewusstseinserkenntnis
- Ich lade dazu ein, die Gedanken nicht zu analysieren, sondern direkt zu erkennen, dass sie nicht „uns“ gehören.
- Der Fokus liegt nicht auf der Korrektur oder Transformation von Gedanken, sondern auf der unmittelbaren Wahrnehmung von Bewusstsein.
- Aus dieser Perspektive heraus verlieren viele Gedankenmuster bereits von selbst an Kraft, ohne dass sie bewusst bearbeitet werden müssen.
Was funktioniert für Dich?
Jeder Mensch ist anders, und deshalb gibt es nicht „die eine Methode“, die für alle passt. Manche Menschen fühlen sich sicherer, wenn sie mit Gedanken arbeiten und sich Schritt für Schritt aus Verstrickungen lösen. Andere wollen direkt in das Sein eintauchen und ihre wahre Natur erfahren, ohne Umwege über den Verstand.
Ich sehe jedoch eine Gefahr darin, sich ausschließlich mit der Analyse von Gedanken aufzuhalten. Denn solange das Grundmissverständnis – ich bin meine Gedanken – nicht erkannt ist, kann die Auseinandersetzung mit Gedanken zu einer endlosen Selbstoptimierung werden.
Für mich liegt der Schlüssel in einer Kombination: Erst das Bewusstsein über die eigene Natur erkennen – und dann mit den noch vorhandenen Prägungen arbeiten, falls das überhaupt noch nötig ist.
Wenn das Grundverständnis über unsere wahre Natur einmal klar ist, verliert sich die Notwendigkeit, die Realität über den Verstand zu kontrollieren. Gedanken dürfen auftauchen, aber sie bestimmen nicht mehr unser Sein.
Was kommt als Nächstes?
In den nächsten Wochen werde ich in dieser Reihe weitere spirituelle Konzepte hinterfragen. Es gibt viele Methoden, die auf den ersten Blick hilfreich erscheinen, aber bei genauerem Hinsehen vielleicht nicht die Freiheit bringen, die wir uns wünschen. Ich werde untersuchen, welche Konzepte wirklich zur Befreiung führen – und welche uns vielleicht nur in einer subtileren Form der Kontrolle halten.
Bleib dran, wenn Dich diese Themen interessieren!
In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.
Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.
Liebe Nicole,
vielen Dank für diese beiden erhellenden Podcasts!! Ich bin selbst seit 30 Jahren auf dem Weg und war natürlich auch bei Eckhardt Tolle und Byron Katie eine Zeitlang hängen geblieben inkl. Ausbildungen etc. 😉
Wirst Du denn auch über den „Kurs in Wundern“ sprechen? Ich praktiziere diesen seit gut 1 Jahr. Allerdings greift auch dieses „Konzept“ bei alten Mustern nicht wirklich.
Liebe Grüße, Alexandra
Danke Dir für Deinen Kommentar, liebe Alexandra! Ja, ich nehme den Kurs in Wundern mal in die Liste auf! Danke für die Anregung
Herzlich, Nicole
wow! Nicole, sehr wunderbar.
Es sind eben nicht die Methoden, die helfen, die lenken eher nur ab, das habe ich immer wieder selbst erfahren. Komm hier, mach da, hier ein Kurs, da ein Kurs … und nix passiert, scheinbar. Veränderung ja, aber keine Transformation. Schon vor langer Zeit habe ich mal den Satz geprägt: Mein Kurs ist kein Kurs!
Und das erweist sich als sehr richtig. Mit all meinen Kursen und Ausbildungen war ich so ver-bildet, als hätte man mir einen Chip eingepflanzt, lief ich wie ein ferngesteuerter Zombie durch die Welt, mich selbst gar nicht mehr fühlend. Nur scheinbar, in dem Rahmen, wie ichs gelernt hatte.
Oh, bin ich froh, dass das vorbei ist und diese, deine kleine Serie ist wunderbar und bestätigt mich total. Danke für Deine klaren und durchdringenden Worte. Schön, dass du diese Arbeit machst. Zu Mediation und Atemtherapie könnte ich auch was ergänzen.
xx Sabien
Ich kann so gut nachvollziehen, was Du beschreibst, Sabine. Wissen und Methoden sind oft wie Schichten, die sich über das unmittelbare Erleben legen – und irgendwann stellt man fest, dass man nicht freier, sondern eher „ver-bildet“ wurde. Dein Satz „Mein Kurs ist kein Kurs!“ bringt das wunderbar auf den Punkt. Transformation geschieht eben nicht durch Ansammlung von Methoden, sondern durch das Fallenlassen von allem, was trennt – und genau da setzt das Spüren an.
Wie schön, dass Du diesen Weg für Dich gefunden hast! Und ja, Austausch zu Meditation und Atemtherapie klingt spannend – magst Du dazu etwas teilen?
Herzliche Grüße,
Nicole
Liebe Nicole,
herzlichen Dank Deiner Gedanken zu den New Kage Ansätzen. Sie haben mich persönlich tiefer „reingeritten“, aus dem ich doch so dringend „rauswollte“. Es bleibt der Gedanke: wenn ich als Beobachter von Gedanken fungiere, bin ich dann auch Beobachter der Gefühle, richtig? Das heißt, es fühlt sich vielleicht ähnlich an, und doch ist es anders, weil ich mich nicht mir ihnen identifiziere? Ich dachte lange, es würde bedeuten, mein Leben fühlte sich dann leicht an, aber die Vielfalt des Lebens erfuhr ich weiterhin – aus einer neuen Perspektive. Und doch erlebe ich Tage des Erkennens und dann wiederum Tage des Vergessens. Nach Karl Renz „bin ich auf der absoluten Ebene als Beobachter aber auch das Beobachtete und das Beobachten selbst. Wie ich ihn verstehe, werde ich den Frieden so auch nicht erlangen, nach dem ich mich sehne, da das Beobachten selbst auf der relativen Ebene bleibt. Das Wechseln der Positionen (Zeuge, Beobachter, Tuender) bringt mir nicht den Frieden, weil alles temporär und bedingt ist. Sie sind weniger und manchmal mehr Frieden, aber nie DER Frieden und nie das, was ohne Zweites ist. Es gibt kein Entkommen; es bleibt relativ. Das, was ich bin, realisiert sich so.“ Bedeutet praktisch: lebe das Leben mit allem, wie es sich zeigt?
Alles Liebe,
Ruth
Liebe Ruth,
danke für Deine tiefgehenden Gedanken! Ich kann sehr gut nachvollziehen, was Du beschreibst. Gerade die Vorstellung, dass das Beobachten einen aus allem „herausholt“, kann eine Weile tragfähig erscheinen – bis sich zeigt, dass auch das nur eine weitere Position im Spiel des Erlebens ist.
Ja, wenn Du die Gedanken beobachten kannst, dann auch die Gefühle – und sobald keine Identifikation mehr da ist, verändert sich die Art, wie sie wahrgenommen werden. Sie erscheinen, vergehen, aber sie „haben“ Dich nicht mehr. Und doch bleiben sie ein Teil des Lebensflusses.
Die Tage des Erkennens und Vergessens – auch sie sind einfach das, was geschieht. Frieden im absoluten Sinn kann nicht „erlangt“ werden, weil er nicht etwas ist, das innerhalb der Zeit oder als eine Erfahrung auftaucht. Das, was ohne Zweites ist, kennt kein „mehr oder weniger“ Frieden, sondern ist jenseits davon.
Bedeutet das praktisch, das Leben einfach zu leben, mit allem, was sich zeigt? Vielleicht genau das.Ich vergleiche es oft mit dem Wetter. Hier existiert alles „nebeneinander“. Mal donnert und blitzt es, dann ist wieder Sonnenschein Es gibt sogar Überschwemmungen und Trockenheit. Es gibt einfach alles und darin keinen Richter.
Es sind die Kräfte, die walten, die alles hervorbringen und die Natur selbst ist die Grundlage von allem, in ihr und durch sie geschieht alles.
Und wir darin ebenso mit allem, was wir erleben. Das Erleben selbst ist schon der Frieden, in dem alles stattfindet, auch der Unfrieden hat darin
seinen Platz.
Alles Liebe,
Nicole
Liebe Nicole, ich finde Deine neue Reihe ganz wundervoll, mal die bekannten Konzepte zu beleuchten. Auch das Wort Erleuchtung, sicher gibt es Menschen die haben eine Erleuchtungserfahrung-und dann geht es weiter, so wie Karl sagt mal als der kleine Karl als Vortänzer, und dann als das Wissen um das Absolute. Und so ist es auch mit dem Wort Präsenz. Ich erlebe das was ich als mein Leben erfahre als einen ständigen Wechsel von anwesend und abwesend. Deswegen kann ich erfahren was ich will, es ist mal da und dann wieder weg. Wie wenn wir schlafen, da sind wir weg und nicht wie ein anderer Lehrer sagt, du bist die Präsenz, nein bin ich nicht. Wenn ich abwesend bin, oder schlafe bin ich nicht präsent. Für einen anderen ja, aber ich bin sowas wie selbstvergessen.
Liebe Nina, danke für Deine wertschätzenden Worte! Ja, es ist spannend, bekannte Konzepte einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten – oft lösen sie sich dann in ihrer vermeintlichen Eindeutigkeit auf.
Was Du über Präsenz sagst, finde ich sehr treffend. Dieses ständige Wechselspiel von anwesend und abwesend ist ja genau das, was die Erfahrung als Mensch ausmacht. Manchmal ist da Klarheit, manchmal Vergessen, und beides geschieht einfach. Ich finde es interessant, wie leicht Präsenz oft als etwas Statisches oder Dauerhaftes beschrieben wird – dabei zeigt sich doch gerade in der direkten Erfahrung, dass alles kommt und geht, auch das Gefühl von Anwesenheit.
Vielleicht ist es weniger eine Frage von „Bin ich präsent oder nicht?“ als von „Was bleibt, auch wenn ich nicht präsent bin?“ – das, was sich selbst weder vergisst noch erinnert. 🙂
Herzliche Grüße,
Nicole