Die unbegreifliche Schönheit des Seins - anhören
Wir Menschen sind auf eine tiefe Art und Weise darauf konditioniert zum Guten zu streben und das Schlechte zu meiden. Diese Konditionierung ist keine mentale, sondern eine biologische Prägung.
Sie ist jedenfalls so tief, dass man sie als natürlich bezeichnen kann. Jedes Tierchen, jede Pflanze strebt zum Licht und fährt bei Bedrohungen jeder Art, ob sie nun rational begründbar sind oder nicht, die Stacheln aus.
Was wir als das Leben, uns selbst und die Welt wahrnehmen, nehmen wir nur wahr, weil alles zwischen dem Plus und dem Minuspol sichtbar wird. Die Bewegung des Lebens geschieht in dieser Spannung und wird durch sie hervorgerufen. Man könnte sagen, die Anwesenheit existiert nur durch ihre Abwesenheit. Dasein ist die andere Seite von Nichtsein. Beides gleichzeitig IST die Spannung, in der alles zu sich kommt, was als existent wahrgenommen wird.
Das Ichgefühl, das jeder Mensch kennt, trägt in sich auch genau sein Gegenteil – die völlige Abwesenheit einer wahrnehmenden Instanz. Doch wahrnehmbar ist allein das Ichgefühl. Das Empfinden: Ich. Ich bin hier. Machen wir uns allerdings auf die Suche nach dem Ich hinter dem Ichgefühl, nach seinem Ursprung finden wir … nichts. Das kann jeder für sich selbst überprüfen.
Wir sind wie wir uns wahrnehmen
Dennoch können wir dieses Ichgefühl nicht verlassen und es kann uns nicht verlassen. Keine Erleuchtung der Welt schafft das Ichgefühl ab. Weil es auch gar nicht darum geht.
Um das Leben wahrzunehmen, braucht es einen Wahrnehmenden. Das bin ich. Das bist Du. Durch Dich wird die Welt sichtbar. Auf die Weise, wie Du sie siehst. Es ist niemals etwas verkehrt oder richtig damit.
Es gibt ein universelles Ichgefühl. Es ist genau das, was Du schon kennst. Dieses Empfinden ist in absolut jedem Menschen gleich. Warum? Weil es nur und ganz allein dieses eine Ichgefühl gibt. Das nackte Empfinden von Dasein und von „man selbst Sein“. Wir kommen nur durcheinander, weil das eine Ichgefühl (Ich Bin) fast 8 Milliarden Namen trägt und daher glaubt abgetrennt von den anderen zu sein.
Das Spannende ist nun die Entdeckung, was hinter dem Ichgefühl, hinter der Wahrnehmung „Ich Bin“ steckt. Worin bin ich eingebettet? Was geht mir voraus? Was ist „vor“ mir da?
Eine gigantische Abwesenheit
Gehen wir davon aus, dass es nur ein einziges Ichempfinden gibt, das sich als 8 Millarden Perspektiven erfährt, können wir auch davon ausgehen, dass es eine genauso gigantische Abwesenheit dieses Ichempfindens gibt. Die andere Seite. Leben ist nur die andere Seite von Tod.
Das ist die Spannung, die uns ins Leben hebt. Eizelle und Spermium. Kreis und Pfeil. Zwei Gegensätze, die sich anziehen – Mann und Frau sind die Bedingung für das menschliche Leben.
Doch geht es noch weiter? Worin tauchen diese Anwesenheit von Ich bin und diese Abwesenheit von Ich bin nicht, auf? Sie sind beide der direkte Ausdruck des Absoluten. Als das Absolute bezeichnen wir das, was vor dem Gewahrsein und vor dem Bewusstsein existiert. Das ist der Urgrund allen seins. Wenn wir betrachten, was wir über diesen Urgrund sagen können, können wir nur zu einem einzigen Schluss kommen: gar nichts. Alles, was wir sagen können, entstammt dem Bereich von Bewusstsein.
Das Absolute jedoch ist jener Ort, an den die Wahrnehmung niemals heranreichen kann, weil sie ihm entspringt. Es ist der namenlose Nicht-Ort, das zu Hause von Weder-Noch, auch bekannt als „Neti-Neti“. Es handelt sich um die Totalität allen Seins, die selbst vollkommen ungreifbar ist, weil sie jenseits aller Erfahrung liegt. Etwas Totales ist von Natur aus vollständig. Es ist so voll und ganz, dass keine zweite Instanz darin Platz hat. Deshalb weiß die Totalität auch nichts von sich. Wissen existiert nur dort, wo es zwei gibt: Einen Wissenden und etwas Gewusstes. In der Totalität des Absoluten aber existiert nichts Zweites, das über etwas reflektieren könnte.
Die absolute Grundlage von Existenz
Und jetzt kommts: DAS ist die Grundlage unserer Existenz. DAS ist unsere Wurzel. DAS ist die Wurzel der Krone, die wir als uns selbst erkennen. Wir entstammen diesem heiligen Paradies, das so total ganz ist, dass es um nichts weiß und deshalb in einer Entspanntheit verweilt, die keine Entspanntheit braucht, da sie nichts von Entstpanntheit und Unentspanntheit weiß.
Von dieser Wurzel ausgehend ist absolut klar, dass wir einer Vollkommenheit entstammen, die vollkommener nicht sein könnte. Es existiert kein Bruch zwischen einem fluchenden Straßenkehrer und der Absolutheit, der er entstammt. Es existiert kein Bruch zwischen Deinen Tränen, weil etwas nicht so klappt, wie Du es Dir wünschst, und dem Absoluten, dem Du entstammst.
Alles, was geschieht, geschieht aus dieser Totalität heraus, die nichts um sich weiß, die in einem absoluten Frieden ist, weil sie nichts von Gegensätzen weiß. Du und ich und die Welt, wir sind der Ausdruck dieser Absolutheit. Und hier, in der Wahrnehmung – die der „weder Wahrnehmung noch nicht Wahrnehmung“ entstammt, gibt es all das, was es gibt. Es gibt Schuld und Unschuld, es gibt Schönheit und Hässlichkeit, es gibt Angst und Liebe und Mord und Totschlag usw.
Wir sind schon wahrgenommen
Und all das ist so, wie es ist. Und darin sind auch wir Menschen einfach Wahrgenommene im absoluten Ichgefühl. All unsere Neurosen sind wie sie sind. Und all unsere Versuche sie abzulegen, sie zu verändern, zu transzendieren, sie abzuschaffen … führen zu gar nichts. Sie machen nur noch mehr Stress, als wir sowieso schon haben. Weil alles Wahrgenommene in Zeit und Raum existiert und somit kommt und geht. Unsere Neurosen kommen und gehen wieder. Vielleicht kommen sie irgendwann nicht mehr, vielleicht auch nicht.
Niemand kann das wissen. Unsere Ängste kommen und gehen, unsere Freuden kommen und gehen und nur die Hoffnung, dass die schlechten Dinge endlich wegbleiben, treibt uns an uns zu ändern. Dabei werden wir immer zwischen guten Gefühlen und schlechten Gefühlen hin und herpendeln. Da können wir uns „auf den Kopf stellen und mit dem Arsch fliegen fangen …“ wie meine Mutter immer sagte, als ich klein war. Es wird nichts ändern. Wir kommen da nicht raus, weil wir selbst etwas sind, was kommt und geht. Und alles, was kommt und geht ist dem Wandel unterstellt. Im Leben gibt es also keine Möglichkeit der dauerhaften Glückseligkeit, der dauerhaften Entspanntheit, der dauerhaften Liebe, der dauerhaften Freude und Ekstase. Unmöglich!
Glückseligkeit ist das Prinzip des Absoluten, das unsere Wurzel ist. Wir entstammen dem absoluten Nichtwissen um sich selbst und damit auch dem absoluten Nichtwissen um irgendetwas Problemhaftes. Wir sind schon glücklich, ohne glücklich sein zu müssen, wir können es weder werden noch mit unseren Sinnen wahrnehmen. Wir sind es bereits. So, wie mein Hund er selbst ist, ohne zu wissen, dass er ein Hund ist oder er selbst oder eine französische Bulldogge. All diese Bezeichnungen kümmern ihn nicht, weil er nur da ist. Und wenn er weg ist, ist er weg, es wird ihn nicht kümmern.
Wir kommen nicht raus aus der menschlichen Erfahrung
Jede Erfahrung, die wir machen, ist eine Erfahrung, die wir machen. Ob sie sich gut oder schlecht anfühlt, ist nur relevant für den Wahrnehmenden, und damit für das Ichgefühl, das auch schon wahrgenommen ist als Erscheinung in der Totalität. Und das können wir wissen. Wir werden immer nach Glück streben und glücklich sein, wenn das Unglück gerade nicht da ist. Und wir werden unglücklich sein, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir das wollen. Es ist unausweichlich.
Es tut weh, wenn ich mich verbrenne und es ist schön, wenn ich gestreichelt werde.
Ich habe Angst, wenn ich mich bedroht fühle und ich bin entspannt, wenn ich mich sicher fühle. So, wie jeder Mensch. Ich weiß einfach absolut, dass ich da nicht rauskomme, also sehe ich keinen Grund mehr mich gegen das aufzulehnen, was ich sowieso wahrnehme. Das ist alles. Die Hölle ist nur ein wahrgenommener Gedanke, wie das Paradies auch. Mal gibt es höllische Momente, mal gibt es paradiesische Zustände. Und friedlich ist es zwischendurch auch. Ich weine, ich lache. Ich ärgere mich, ich freue mich … ich bin absoluter Kanal für das Leben, das mich lebt, wie es mich lebt.
Es gibt keine Regeln, es gibt keine Kontrolle, es gibt keinen Plan. Es gibt nur das absolute Sosein dessen, was Du wahrnimmst. Das mache nicht ICH und das macht auch nicht das ICH, das DU bist. Es ist die Totalität eines Geschehens, das unsagbar ist. Und darin liegt eine Schönheit, die jenseits von schön und hässlich ist. Es ist die unbegreifliche Schönheit von Sein.
Der Funke der Begeisterung springt über! und ja – nicht nur Du siehst die Schönheit, die keine Schönheit braucht. Ich sehe -und durch Dich fühle ich jetzt auch diese Freiheit, die darin liegt, nichts tun zu können. Nur dabei zu sein. Wow! Danke Nicole
Klingt schön, Christoph! 🙂
irgendwie ist es auch frustrierend, dass man so gar nichts tun kann. Und Du hast es sehr klar dargelegt, dass es tatsächlich so ist, weil wir ja nur wahrnehmen was passiert. Was auch immer es ist! Es ist wahrgenommen, nicht getan. Das ist schon krass, wenn man es mal SO sieht. Und jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie ich es anders sehen könnte. Denn alles andere sieht nun wie eine Illusion aus. Wie ein Idee, dass ich was tue. Zu kurzsichtig. Und gleichzeitig ist es auch erleichternd, dass ich nix machen kann, um etwas so zu deichseln, wie ich das will. Dann fällt mir nämlich auf, wie sehr da etwas aus dem Fluss herausragen will, dass einfach nicht checkt, dass es IM Fluss ist. Oh man, Nicole es ist alles so verrückt. Ich liebe Deine Texte, nicht zuletzt wegen dem, was sie in mir bewirken. Aber auch das kommt und geht. Und deshalb ist es toll, dass da immer wieder was von Dir kommt. Danke!
Schauen wir mal, lieber Tobias, wie lange noch 🙂
Ich freue mich auch immer sehr über ‚Post von Zuhause‘ 🤗
Maja 😀 <3
In der „spirituellen“ Szene ist andauernd davon die Rede, dass wir „Schöpfer“ sind und unsere Realität selbst erschaffen. Das impliziert Streben ohne Ende und kann das Gefühl des Versagens hervorrufen, wenn es wieder mal nicht alles Liebe und Glückseligkeit ist. Da muss man sich eben weiterentwickeln und bewusster werden, heisst es. Also streben.
Deine Erkenntnis ist das Gegenteil. Sie ist natürlich nicht nur Deine. Das Leben empfangen… Mit dem sein, was ist… Wie entspannend!
Die Konditionierung grätscht allerdings immer wieder dazwischen.. (Smiley)
Danke für das, was Du tust!
Liebe Natalja, mir ist heute beim Gassigehen mit meinem Hund ein sehr toller Spruch eingefallen. Er ist toll, weil er so wahr ist. Er ist paradox und damit völlig rund. Und morgen werde ich ihn möglicherweise überall ausposaunen, wenn ich daran denke. Er geht so:
„Wir können tun, was wir wollen, weil wir immer nur das tun können, was passiert.“
Dieser Spruch beinhaltet sowohl die absolute Freiheit, als auch die absolute Ohnmacht. Beides gleichzeitig stimmt.
Ich selbst bin total an meinem Streben gescheitert. Ich habe absolut eingesehen, dass es mich nirgendwohin führen kann. Schon gar nicht zu mir. Es ist unmöglich. Ich bin ja schon da. Und nichts, was ich erlebe, wird daran etwas ändern. Weder mehr Bewusstsein, noch weniger Bewusstsein, noch mehr Tun, noch weniger tun, weder mehr Geld, noch weniger Geld, weder Gesundheit, noch Krankheit usw. Nichts, absolut nichts ändert etwas an dem, was ich bin. Auch nicht die größte Liebe und nicht die größte Erkenntnis. Aber wer weiß? Vielleicht musste ich all die Jahre nach all dem Streben, damit ich endlich daran scheitern konnte? Wer weiß das schon?
Es gibt keine Rezepte. Es gibt nur Dich und Deinen ganz persönlichen Weg oder Nichtweg. Es gibt nur Dein Erleben des Lebens. Und da kann Dir niemand reinreden.
Eine inspirierende Antwort, danke!
Wir sind dann wohl nicht Schöpfer, sondern Schöpfung.
Für die alltäglichen Tatigkeiten hilft mir häufig Zen (ich war mal in einem Kloster vor vielen Jahren). „Wenn du eine Karotte schneidest, schneidest du Karotte. Wenn du das Klo putzt, putzt du das Klo“.
Liebe Natalja, das mit dem Kartotteschneiden und so ist, spannenderweise, eine Folge, keine (auf Dauer) realisierbare Anleitung … LG Nicole
Es ist überall zu erkennen, alles ist auf Vielfalt angelegt. Somit ist das Verwirrspiel perfekt.
Die Erkenntnis, dass das Leben einfach geschieht, würde in bestimmten Kreisen tatsächlich als Ver-irren im dunklen Wald gelten, im Sinne von, wenn geglaubt wird dass wir keinen freien Willen haben, dann ist die Menschheit einfacher zu führen. Doch stimmt das? Ich zumindest kann nur beim hinschauen sagen, dass es eine Kraft gibt, die durch mich wirkt, und das fühlt sich gut an.
Liebe Nina, Kräfte wirken. Woher? Keine Ahnung. Wohin? Keine Ahnung. Warum? Keine Ahnung. Ahhhh. schön. ;-D