Wir hatten nie Eltern - anhören
Nicht wenige Menschen leiden Zeit ihres Lebens unter dem Einfluss ihrer Eltern. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese noch am Leben sind oder schon lange gegangen. Ihre Stimmen brennen sich in uns ein, wie heiße, unwiderrufliche Siegel, die Jungtieren auf einer Rinderfarm gleich nach der Geburt eingebrannt werden.
Ich selbst erwische mich oft dabei, wie ich Sprüche meiner Mutter zitiere, wenn ich mit meinen Kindern zusammensitze. Sie machen sich mittlerweile einen Spaß daraus: „… hat Oma gesagt!“ In meinem Fall sind es harmlose Sprichwörter, doch selbst diese haben sich wie die Werbeslogans aus den 80er Jahren tief in mein Gehirn gegraben, ohne dass ich wirklich Einfluss darauf hätte.
Andere Menschen leiden unter viel schwereren Prägungen: psychischen Mustern, die sie von ihren Eltern übernommen haben. Für alle, die sich nach innerer Freiheit sehnen, danach, endlich in sich selbst anzukommen, bedeutet das oft, zuerst einmal zu sondieren: Welche Stimmen sprechen da in mir? Ist es meine eigene? Oder ist es die meiner Mutter, meines Vaters oder einer anderen prägenden Bezugsperson, die mein Erleben formt?
Das schlechte Gewissen, das auftaucht, wenn Du Deinen eigenen Neigungen folgst – woher kommt das? Der Drang, alles zu kontrollieren und in Ordnung zu halten – ist er wirklich Dein eigener oder nur ein übernommenes Muster? Und die Idee, immer etwas beweisen zu müssen, um gesehen zu werden – ist sie wirklich Dein tiefster Wunsch? Oder entspringt sie einer alten Wunde, in der Du Dich übersehen gefühlt hast?
Der Weg der Fragen
Der Weg der Selbsterkenntnis beginnt mit Fragen. Gedanken, Emotionen und Glaubenssätze treten in den Vordergrund, oft ausgelöst durch Konflikte, körperliche Beschwerden oder berufliche Schwierigkeiten. Wer diesen Weg beschreitet, will frei und glücklich sein, doch kaum jemand weiß, worauf er sich wirklich einlässt.
Denn dieser Weg führt ins Eingemachte. Er zwingt uns, in die Tiefen des Unbewussten hinabzusteigen und Licht in ein Dunkel zu bringen, das kaum jemand freiwillig betreten würde. Lange Zeit bleibt dieser Prozess psychologisch: Wir betrachten unsere Kindheit mit den Augen eines Erwachsenen, vergeben unseren Eltern ihre Schwächen – sofern wir die innere Reife oder den Frieden gefunden haben, der dies ermöglicht – und uns selbst unsere Abhängigkeiten. Doch viele bleiben auf diesem Abschnitt stecken, gefangen in den Überbleibseln der elterlichen Weltbilder.
Andere schaffen den Absprung. Sie erreichen ein inneres Gleichgewicht, das es erlaubt, die Eltern mit erwachsenen Augen zu sehen – als Menschen, die nicht anders konnten, als sie taten. Das bedeutet nicht, dass alles entschuldigt ist, aber es eröffnet die Möglichkeit, inneren Frieden zu finden. Ohne eine totale Abnabelung jedoch geht es nicht weiter.
Weiter? Wohin?
Weiter in eine neue Lebenshaltung, in eine erweiterte Perspektive, in die Erfahrung einer Freiheit, die sich nur zeigt, wenn wir die energetische Frequenz erreichen, in der sie sichtbar wird. Diese Frequenz finden wir erst, wenn der Schmerz der Kindheit verarbeitet ist – auf welche Weise auch immer.
Das Ziel ist die innere Unabhängigkeit von den Sichtweisen und Weltbildern der Eltern. Es geht um das tiefe Erkennen und Akzeptieren dieser Tatsache: Ob sie noch leben oder nicht, sie werden uns niemals so lieben, wie wir es uns gewünscht haben. Jedes Festhalten an diesem Wunsch hält uns in einer kindlichen Energie gefangen und verhindert, dass wir uns als freie, unabhängige und kraftvolle Wesen erfahren können.
Ich selbst bin glücklicherweise nicht mehr verstrickt in die kindlichen Wünsche, Schmerzen und Hoffnungen, die durch meine Eltern geprägt wurden. Als wären diese Sehnsüchte vollständig ausgelöscht. Stattdessen sehe ich meine Mutter, die noch lebt, sehr klar. Ich empfinde eine feine Liebe für sie, die ganz menschlich ist. Ich sehe ihre Nöte und ihre Schönheit, ihre Grenzen und ihre Möglichkeiten. Und all das hat nichts mit mir zu tun. Ich kann sie so nehmen, wie sie ist, und das beschert uns ein freundliches, zugewandtes Miteinander. Natürlich gelingt es ihr manchmal, mich auf die Palme zu bringen – wie nur Mütter das können. Aber das währt nie lange.
Die spirituelle Sicht: Wir hatten nie Eltern
Diese Abnabelung von den Eltern ist die Voraussetzung, um sich der nächsten Ebene zu öffnen: der Abnabelung von den eigenen Weltbildern. Erst die zweite Abnabelung von dem, was wir als unsere eigenen Sichtweisen erleben, bringt uns in die Lage etwas zu erkennen, das weit über das hinausführt, was wir jemals für möglich gehalten haben: Wir erkennen, dass wir nie Eltern hatten, weil wir nie Kinder waren. Hier zeigt sich eine völlig neue Perspektive. Wir waren nie wirklich „geboren“ – wir waren immer schon da, als dieser leuchtende Energiestrom.
Es ist, als würde ein Panzer aufbrechen, der sich am Ende selbst als Licht erkennt. Alles, was wir für real und massiv hielten – unsere Prägungen, unsere Geschichten, unser Ich – offenbart sich als Illusion. Was bleibt, ist nichts als das Gefühl des Daseins: leicht, frei, zeitlos.
Solange wir an uns selbst als „Jemand“ festhalten, als jemanden mit festen Meinungen und unumstößlichen Perspektiven, ist die Sicht auf das, was wirklich ist, vernebelt. Denn das, was wirklich ist, hat weder eine Meinung, noch eine Perspektive, noch eine Form. Das offenbart eine absolute Leichtigkeit, die jenseits von Kategorien wie leicht und schwer liegt.
Die Leichtigkeit des Seins
Um zu erkennen, wer wir wirklich sind, müssen wir zuerst erkennen, was wir mit uns herumtragen. In der Klarheit dieses Erkennens liegt bereits das Loslassen. Das geht so weit, bis nichts mehr bleibt als das reine Hiersein. Dieses leuchtende Dasein offenbart die unendliche Freiheit, die immer da war, und zeigt uns die Welt durch neue Augen.
In einer Welt, in der das Offensichtliche selten hinterfragt wird, lädt „Ein Riss in der Realität“ dazu ein, tiefer zu blicken und die unsichtbaren Fäden zu entdecken, die unser Sein durchdringen. Dieses Buch versammelt 24 inspirierende Essays, die ursprünglich als Adventskalender auf Nicole Paskows Blog entstanden sind.
Jeder Text öffnet ein neues Fenster in die Weiten unseres Bewusstseins und ermutigt den Leser, die wahre Natur des Menschseins zu erkunden. Es ist eine Einladung, mit den inneren Augen zu sehen und die Klarheit zu finden, die in der Essenz unserer Existenz verborgen liegt.
Wieder einmal so schön, so zutreffend und wahr. Einfach und klar formuliert.
Zugleich jedoch wie du sagst, so lange wertlos bis wir es in unseren Alltag, unser Handeln und Sein intengrieren und leben lernen.
Lieber Werner, danke für Deinen Kommentar! 🙂
„Die Leichtigkeit des Seins
Um zu erkennen, wer wir wirklich sind, müssen wir zuerst erkennen, was wir mit uns herumtragen. In der Klarheit dieses Erkennens liegt bereits das Loslassen. Das geht so weit, bis nichts mehr bleibt als das reine Hiersein. Dieses leuchtende Dasein offenbart die unendliche Freiheit, die immer da war, und zeigt uns die Welt durch neue Augen.“
…Für mich ist dieses Erkennen, und das Loslassen von meinen Gewohnheiten, meinen wiederkehrenden Gefühlen, meinen erscheinenden Gedanken – ein fließender Prozess. Der Johannes erkennt und lässt los in einem immer laufenden Fluss. Im Wahrnehmen hat auch mein Erkennen und mein Loslassen keine wirkliche Bedeutung.
Lieber Johannes … ja das Leben ist und bleibt ein Prozess. Ein fortlaufend fließender Fluss. Darin erscheinen Dinge und vergehen wieder. Was davon Bedeutung hat und was nicht, kann nur Johannes sehen und fühlen. LG Nicole
Ich bin eine Vollwaise. Das ist eine absolute Weisheit.
Als ich ins Hiersein trat war ich so sehr allein, dass ich allerhand Spielgefährten, ja sogar einen Planeten erfinden musste um mich zu vergnügen.
So ausgelassen wie ich war, geschah es, dass ich mich schließlich
selbst in all den Objekten verlor und einige meiner Spielgefährten urplötzlich als Todfeinde empfand; ganz speziell die Einen, die vernichtende Kritik an mir übten und mich in einem fort kränkten .
Ganz verzweifelt fragte ich Mama+Papa:‘ Was soll ich denn tun?‘
worauf sie meinten: ‚Liebe Deine Feinde!‘ ohhh ein großes Wort! dacht ich mir. . . bis ich entdeckte dass mein HerzRaum tatsächlich ist so groß und weit, dass Alle und Alles miteinander und ineinander locker darin verweilt.
D a s i s t s o b e s e l i g e n d u n d e n t z ü c k e n d : Was sagt etwa Mama+Papa dazu? Ich hoffe sie kriegen diese Zeilen
nicht zu Gesicht, sonst gibts echt Haue, fürchte ich.
Denn schließlich meinte Mama: ‚Dass Du unsern Rat: ‚Liebe Deine Feinde‘ so derart Ernst nehmen wolltest, ist nicht das,was Du solltest! Hat’s doch nur zu einem absolut abgehobenen Berauscht-Sein geführt und weil es sich dabei auch noch um eine Ekstase der Nüchternheit handeln sollte, da waren sie dann beide, Mama+Papa, definitiv raus.
Nun bin ich wieder ganz allein: Vollwa(e)ise:-))
Herzlichen Dank, liebe Maja für Deine Gedanken und Deinen Beitrag! 🙂